Zwischen attac und Kontaktimprovisation
Christian Felber über das Tanzen
"Kontaktimprovisation ist die unvoreingenommene, jungfräuliche und vorurteilsfreie Begegnung, die zu einer einzigartigen Bewegung führt." (Christian Felber)
8. April 2017, 21:58
Verbundenheit mit anderen Menschen
Für den Hochschullehrer, Buchautor und Wirtschaftspublizisten bedeutet Begegnung tanzen: "Kontaktimprovisation" heißt die zeitgenössische Stilrichtung, die Felber seit Jahren betreibt. Ein Tanz, der gänzlich ohne Choreografie auskommt und in spielerischem Verlauf eine spontane Körpersprache entwickelt.
Zehn Jahre attac
Das Wesen der Kontaktimprovisation - nämlich die Dramaturgie der einzelnen Tanzschritte allein durch körperliche und geistige Achtsamkeit zu entwickeln - ist sinn-bildlich für Felbers Lebenswerk: Für die Bewegung attac, jenes globalisierungskritische Netzwerk, das vor genau zehn Jahren, am 6. November 2000, bei einer Begegnung Gleichgesinnter im Wiener Semper-Depot gegründet wurde.
Attac hat sich ja mittlerweile zu einer beachtlichen internationalen Organisation entwickelt, die sich für die gerechte Gestaltung der globalen Wirtschaft einsetzt. Und wie der ungewöhnliche Verein besticht auch sein Gründer durch eine unkonventionelle Haltung und eine erfrischend originelle Herangehensweise, wie sich gleich bei der ersten Begegnung mit Christian Felber zeigt. "Ich sitze jetzt auf einer Fensterbank und wenn ich meinen Körper frage, was er machen will, dann sagt er eindeutig: hinlegen und ein bisschen ausruhen und das Interview am besten im Liegen weiterführen. Ich verliere dadurch die Wahrnehmung meiner sonstigen gesellschaftlichen Stellungen, die ich einnehme, und kann noch freier und ungebundener über den Gegenstand des Interviews sprechen."
Tanzfluss via Fußboden
Der Ort der Begegnung ist das Tanzquartier im Wiener Museumsquartier, wo Christian Felber regelmäßig Trainingsstunden absolviert. Zur Veranschaulichung der Kontaktimprovisation begibt er sich auf den Fußboden. Der Kontakt des Körpers mit dem Untergrund leitet den Tanzfluss ein: "Ich leg mich der Länge nach hin und streck mich aus, und dann beginnt entweder die Hüfte oder ein Arm oder ein Fuß oder der Kopf oder irgendein anderer Körperteil eine rollende Bewegung. Dadurch kommt es zu einer weit verteilten Achtsamkeit über den ganzen Körper und es entsteht ein viel vollständigeres Bewusstsein über einen selbst. Der Boden ist natürlich nur der Anfang - in weiterer Folge passiert dasselbe mit Tanzpartnerinnen und Tanzpartnern, und hier ist es dann ein interaktives Begegnen und nicht eine Einbahn mit dem Boden."
"Kooperation statt Konkurrenz - 10 Schritte aus der Krise", "50 Vorschläge für eine gerechtere Welt", "Wir bauen Europa neu - Alternativen für eine demokratische, soziale, ökologische und friedliche EU", sowie jüngst "Die Gemeinwohl-Ökonomie. Das Wirtschaftsmodell der Zukunft" - das ist nur eine kleine Auswahl der viel beachteten Werke, die Christian Felber neben seiner Arbeit als Lektor an der Wiener Wirtschaftsuniversität sowie als Vortragsreisender im Dienste von attac bereits veröffentlicht hat.
Schon während seiner Studienzeit war Felber ein leidenschaftlicher Kopf-Arbeiter, der eines Tages allerdings ein Defizit verspürte: "Der Tanz war eine Notwendigkeit für mich, ich arbeite sehr viel geistig mit dem Kopf, intellektuell, und wenn ich das ausschließlich mache, dann fühle ich mich nicht wohl, und da gibt es eben verschiedene Strategien, das zu vermeiden, eine Möglichkeit ist Sucht, dass man isst oder trinkt oder raucht oder blöde Filme anschaut, und eine andere Möglichkeit ist eben, den Grundbedürfnissen Vorrang zu geben. Und artgerechtes Bewegen ist eine der zielführendsten Wege zum Glücklich-sein."
Entscheidendes "Hinspüren"
Zwischen Körper und Geist, und also auch zwischen Kontaktimprovisation und Wirtschaftsphilosophie, gibt es enge Beziehungen, betont Christian Felber. Jene Achtsamkeit, die er beim Tanzen erfahre, lasse sich eins zu eins ins Wirtschafsleben übertragen, davon ist er zutiefst überzeugt. Das "Hinspüren" sei, so Felber, hier wie dort entscheidend. So wie der Tänzer ohne Einfühlung in seine Tanzpartnerin nicht den nächsten Schritt erarbeiten kann, so lassen sich auch ökonomische Problemlösungen nicht im Alleingang erzwingen:
"Konkurrenz wäre etwas, was die Kontaktimprovisation und den gemeinsamen Tanz sofort zum Scheitern verurteilen würde. Ein Gegeneinander-arbeiten würde sofort den gemeinsamen Bewegungsfluss stoppen und zerstören und es ist das genuinste Miteinander, das ich mir vorstellen kann, nämlich dass man gemeinsam diesen Moment erspürt, wohin es in den nächsten Bruchteilen von Sekunden gehen kann. Da ist ein unendlich weites Spektrum; wenn man hier etwas gegen die andere Person durchsetzen würde, kann man das Ganze sofort vergessen. Und das kann man natürlich ausweiten auf die gesamte Menschheit und die Weltwirtschaft. Ein kooperatives Weltwirtschaften und gemeinsames Hinhorchen auf die Frage: Was brauchen alle? wäre die logische Konsequenz oder die Lehre, die man ziehen könnte aus der wunderschönen Erfahrung der Kontaktimprovisation."
Spontane Aktionen
Christian Felbers Alltag ist "meditativ", wie er es formuliert. Das heißt, er entwickelt einen größtmöglichen Grad an Bewusstheit in jeder Lebenssituation. So hat man ihn etwa schon oft dabei ertappt, wie er unvermutet an Mauern Handstände macht, sich an Türrahmen hochzieht oder sich plötzlich aus dem Sitz rücklings über eine Sofalehne rollt. Immer wieder trifft er sich mit Gleichgesinnten zu sogenannten Jams - und man zelebriert ganzheitliches Glücklich-sein. Und immer wieder kommt es vor, dass ein Tänzer in den sogenannten "Flow" kommt, "im Fluss", ganz bei der Sache ist.
Eine spektakulär geglückte akrobatische Begegnung der jüngsten Zeit führte zu Bewegungen, die so noch nie da waren: "Die Tanzpartnerin ist einmal um meinen Kopf herum gewirbelt und dabei auf ihren Flanken bis zur Hüfte gerollt, dann ist sie durch einen Purzelbaum an mir hinunter auf den Boden gekommen - und ich bin gleich mit über sie gepurzelt. Und am Schluss sind wir in einer unendlich komfortablen Position dagelegen, in der man das Gefühl hatte, da kann man jetzt eine Stunde liegen bleiben, glücklich und ausgeruht und zufrieden."
Trennung von Geist und Körper aufheben
In seinen Vorträgen beschreibt Christian Felber die Trennung des Intellekts vom Körper als Ursache vieler Menschheitsprobleme: Frauenfeindlichkeit etwa oder Rassismus bis hin zu hierarchischen Gesellschaftsstrukturen im Kapitalismus. Wäre jene Trennung aufgehoben, so der emphatische Christan Felber, dann würde beispielsweise Geld nur mehr als Mittel, nicht als Zweck des wirtschaftlichen Tätigseins dienen.
Des Tänzers Traum: "Wenn diese Trennung aufgehoben werden könnte, wenn Menschen verbundener wären und integrierter, dann würde Geld, so es überhaupt noch nötig wäre, als Mittel dienen und nicht mehr der Zweck des wirtschaftlichen Tätigkeitseins sein. Die Banken wären nicht gewinnorientiert, sie würden nur die Geldversorgung sicherstellen, wie Blutversorgung zum Beispiel. Die Unternehmen wären nicht gewinn-orientiert, sie würden sich eine sinnvolle Aufgabe suchen und diese dann gemeinwohl-orientiert erfüllen. Die Menschen glauben, dass sie glücklich werden, wenn sie viel Geld verdienen oder wenn sie Macht über andere haben, was ja wissenschaftlich unumstritten ist, dass das nicht zutrifft: Geld macht niemanden in der Tiefe glücklich, das sind oberflächliche Illusionen, die insbesondere medial inszeniert werden und von vielen deshalb angestrebt werden. Menschen wollen ihre Grundbedürfnisse über den Umweg von Macht oder Erfolg erreichen, nämlich Verbundenheit mit anderen Menschen, Geborgenheit, Partnerschaftlichkeit, Sexualität, gelingende Beziehungen oder eben auch körperliches Glück und Wohlbefinden. Wir könnten diese Wege aber direkt gehen und nicht über diese furchtbaren Umwege, deren Symptome Finanzblasen, Finanzkrisen oder systemisch entfesselte Gier im Kapitalismus sind. Das alles können wir über die Kontaktimprovisation lernen."