Inhaltliche Zustimmung zu Botschafter-Kritik

"Versagen von Bund, Ländern und Gemeinden"

Die Art der Kritik hat in Österreich für große politische Aufregung gesorgt. Aber inhaltlich gibt es durchaus Stimmen, die dem türkischen Botschafter darin recht geben, dass bei der Integration der Zuwanderer einiges schief gegangen ist. Eine davon ist Gemeindebund-Präsident Helmut Mödlhammer: Er sagt, Gemeinden, Länder und Bund - alle hätten versagt.

Morgenjournal, 11.11.2010

Sorge um gutes Klima

An die Bürgermeister der Gemeinden richtet Mödlhammer den Appell, bei der Integration aktiv zu werden und zum Beispiel Ghetto-Bildungen zu verhindern. Die Aussagen des türkischen Botschafters nennt allerdings auch er "verheerend". Er sei zutiefst betroffen von den Aussagen des türkischen Botschafters, sagt der Gemeindebund-Präsident. "Der Schuss geht völlig nach hinten los. Das gute Klima, das größtenteils vorhanden ist, wird zerstört. Es wird hier eine Aversion geschaffen."

Problemlos in kleinen Gemeinden

In den meisten Gemeinden, vor allem in den kleineren, funktioniere die Integration nämlich weitgehend. Die Kinder gehen in den Kindergarten, kommen gut in der Schule zurecht, sind im Sportverein. "Solange es nicht im großen Ausmaß passiert, Asylantenheim und so weiter, gibt es überhaupt kein Problem."

Zu lange zugeschaut

Probleme sieht Gemeindebundpräsident Mödlhammer aber sehr wohl in den Städten und Gemeinden ab 20.000 Einwohnern. Ein Punkt sei eine gewisse Anonymität, dann fehle dort die Bürgerbeteiligung wie in den kleinen Gemeinden und das erschwere es auch, den Zugang zu den Gruppen zu finden. Und das hätten alle Ebenen viel zu lange zugelassen, sowohl, Bund, Länder als auch die Gemeinden.

Ghettos verhindern

An die Bürgermeister appelliert Mödlhammer, künftig vor allem Quasi-Ghettos zu verhindern. Im sozialen Wohnbau sollte es eine "vernünftige Durchmischung" geben, "damit sich die Menschen begegnen und verstehen können". Wenn ausländische Familien zuziehen, sollten sie sehr rasch integriert werden. Und es sollte gemeinschaftliche Veranstaltungen geben, in denen man gegenseitig die Kulturen erklärt. Von der Bundesregierung fordert der Gemeindebund-Präsident schnellere Asylverfahren, die nicht länger als ein Jahr dauern dürften.

"Integration ohne Anerkennung"

Der Politologe Kenan Güngör im Morgenjournal-Gespräch am 11.11.2010 mit

Große Distanz

Inhaltlich gibt der türkischstämmige Politologe Kenan Güngör dem Botschafter völlig recht. Die kritisierten Punkte seien zum Teil schon seit 20 Jahren bekannt. Er verweist auf Europäische Vergleichsstudien über die Distanz zu Fremden in den einzelnen Ländern, und sei Österreich mit Abstand unter den schlechtesten. Die Türken würden sich in Österreich "natürlich" ausgegrenzt fühlen. "Man sagt ihnen, eigentlich wollen wir euch nicht. Und wir haben das Phänomen von Integration ohne Anerkennung." Was aber nicht heiße, dass es nicht auch bei den Türken Aufholbedarf gibt.

Türke ist nicht Türke

Der Güngör ruft dazu auf, die türkischen Migranten in Österreich differenziert zu betrachten: Ein großer Teil der Zuwanderer bilde schon längst die Mittelschicht dieser Gesellschaft. Dann gebe es eine Spitzenelite, und am anderen Ende die Unterschicht in der sozialen Armut.

Problematische Bedingung Deutsch

Die oft kritisierte Ghetto-Bildung hat nach Ansicht Güngörs weniger mit der ethnischen Herkunft zu tun als mit der sozialen Schicht. Problematisch sieht der Politologe die Vorgabe, dass potenzielle Zuwanderer Deutschkenntnisse haben müssen. Diese Idee "Deutsch vor Zuzug" sei unfair gegenüber Menschen, die die Möglichkeit nicht haben. "Wir werden dann nicht die Besten bekommen, sondern jene, die die Möglichkeiten haben."