Die größte deutschsprachige Bibliothek der Türkei

Die Bücherarche der Familie Aksit

Die große Leidenschaft der Familie Aksit war und ist das Lesen und das Büchersammeln - bevorzugt deutschsprachige Literatur, bevorzugt in deutscher Sprache. Und so trugen die Aksits im Laufe der Zeit eine Bibliothek von rund 50.000 Werken zusammen.

Das langgestreckte, vierstöckige Haus auf einem Hügel, inmitten von Mandarinenhainen wirkt fast wie eine gestrandete Arche - und tatsächlich ist es eine Art Bücherschiff, das hier, nach langer Fahrt, seinen Zielhafen erreicht hat. Das "Aksit Kültür Denk- und Literaturhaus" - so der offizielle Name - ist eine bemerkenswerte Privatinitiative. Denn in dem kleinen Dorf Ürkmez an der türkischen Ägäisküste, rund 70 Kilometer südöstlich von Izmir, hat eine einzelne Familie in den vergangenen Jahren die größte deutschsprachige Bibliothek der Türkei eingerichtet.

Interkulturelle Begegnungsstätte

Insgesamt umfasst die Büchersammlung an die 80.000 Bände; davon sind mehr als die Hälfte in deutscher Sprache verfasst, die anderen vor allem auf Türkisch, außerdem finden sich auch englisch- und französischsprachige Werke in der Bibliothek. Diese dient bei weitem nicht allein dem privaten Lesevergnügen der Familie, sondern das Haus soll eine interkulturelle Begegnungsstätte sein.

Erreicht werden soll dies durch Lesungen, Vorträge, Seminare und Workshops - und eben auch durch die Möglichkeit, hier Bücher zu den unterschiedlichsten Themenbereichen zu lesen und zu entlehnen. Dieses Angebot wird mehr und mehr auch von der lokalen Bevölkerung genutzt, die bislang noch nie Zugang zu Bibliotheken und Büchereien hatte. Hinter "Aksit Kültür" steht Familie Aksit: ein pensioniertes Ehepaar und dessen vier Söhne. Miteinander führen sie - ohne finanzielle Unterstützung von außen - das "Denk- und Literaturhaus" und haben sich damit, wie sie betonen, einen Traum erfüllt.

Döner und Schule in Wien

Begonnen hat das Projekt in Österreich. 1984 war die Familie nach Wien übersiedelt, denn die Eltern wollten den Söhnen, die damals zwischen sechs und elf Jahre alt waren, eine bessere Ausbildung ermöglichen, als es zu diesem Zeitpunkt in der Türkei möglich gewesen wäre. Um dies zu finanzieren, arbeitete Aila Aksit, die Mutter, jahrelang als Reinigungskraft, der Vater, Tevfik Aksit, der in Ankara ein Sprachenstudium absolviert hatte, betrieb zunächst einen Döner-Laden (einen der ersten in Österreich, wie er stolz vermerkt).

Obwohl der Laden gut ging, gab Tevfik Aksit ihn auf, als er das Angebot bekam, als Begleitlehrer für türkische Kinder in einer Wiener Volksschule tätig zu sein. "Jungen Menschen den Wert von Sprache und Bildung zu vermitteln, das war immer mein Ziel gewesen", betont er.

Daneben widmete sich Tevfik Aksit dem Aufbau seiner Bibliothek. Von der Familie wurde er dabei kräftig unterstützt, denn sie alle verband ein großes Hobby: das Lesen und das Büchersammeln.

Grundstein in Österreich gelegt

Ein guter Teil des Haushaltsbudgets ging in den Buchankauf, und einen großen Teil ihrer Freizeit verbrachten die Aksits damit, um in Wühlkisten, auf Bücherbasaren, auf Flohmärkten und bei Bibliotheksauflösungen nach interessanten Exemplaren zu stöbern. In Gablitz bei Wien hatte die Familie ein Haus gekauft, "und überall waren Bücher: in der Küche, im Schlafzimmer, im Stiegenhaus, ja sogar im Badezimmer", erinnert sich Aila Aksit.

Schon hier war es der Familie ein Anliegen, die Bestände auch für andere zugänglich zu machen. Daher richtete es in einem Teil des Hauses eine Bücherei ein, die offiziell als Mitglied des Österreichischen Büchereiverbandes anerkannt wurde. Genutzt wurde sie von der lokalen Bevölkerung und vor allem auch vom großen, multikulturellen Freundeskreis der Aksit-Söhne.

900 Übersiedlungskartons

Nachdem Tevfik Aksit in Pension gegangen war, entschloss sich das Ehepaar 2004, in die Türkei zurückzukehren - mit den Büchern, die in 900 Großkartons übersiedelt wurden, und mit dem Ziel, dort ein Kulturzentrum einzurichten. Den Söhnen wurde freigestellt, ob sie mitmachen wollten, denn immerhin hatten sie sich alle in Wien etabliert: einer hatte eine Ausbildung als Elektrotechniker absolviert, einer war nach dem Pädagogik- und Soziologiestudium als Sozialpädagoge tätig, und zwei arbeiteten als Buchhändler. Dennoch entschieden sich alle für das "Denk- und Literaturhaus"-Projekt.

Nach einiger Suche fand die Familie in Ürkmez ein geeignetes Gebäude. Dieses war eigentlich als Appartementhaus geplant gewesen, war aber nie fertiggestellt worden. Damit war es finanziell leistbar - und auch genügend groß, um sowohl die Bibliothek unterzubringen und auch der gesamten Familie, der mittlerweile auch zwei Schwiegertöchter und drei Enkelkinder angehören, Platz zu bieten.

Und vor allem kann dort der Traum verwirklicht werden, den Tevfik Aksit so beschreibt: "Wir möchten dazu anregen die Welt mit offenen Augen zu sehen, oft eingeschränkte Sichtweisen aufzuheben, Grenzen fallen zu lassen und Kultur als einen globalen Wert aller Menschen zu betrachten und zu leben."

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Aksit Kültür