Zur Aktualität des Philosophen Ernst Bloch

Renaissance der Utopien

"Hoffnung hat einen Boden, der sie besonders gut gedeihen lässt: Unzufriedenheit! Und aktiv werdende Unzufriedenheit kann rebellisch sein, mit einer Hoffnung auf etwas und gegen etwas, in dem man sich jetzt durch eigene Schuld, eigene Unmündigkeit, oder durch Unterdrückung befindet."

In Büchern, Vorlesungen, Radiogesprächen formulierte der Philosoph Ernst Bloch Sätze, die ihre Gültigkeit bis heute nicht verloren haben.

"Denken heißt Überschreiten!", "Es kommt darauf an, das Hoffen zu lernen." - Sein antizipierendes Denken von Utopie und Hoffnung animiert bis heute all jene, denen das vorgefundene Leben nicht genug ist. Blochs Schriften sind ihnen Begründung der Sehnsucht nach einer anderen, einer besseren Welt.

Die Träume ernst nehmen

Die Träume vom anderen Leben ernst nehmen, ihnen nach-spüren, sie nach-prüfen. Nichts weniger forderte der Philosoph Ernst Simon Bloch Zeit seines Lebens. Einer wie er fehlt heute - 125 Jahre nach seiner Geburt in der am deutschen Rhein gelegenen "Arbeiterstadt" Ludwigshafen, deren Bildungsanstalten für den jungen Bloch kein inspirierender Anfang waren: "Die Schule", notiert er, "entsetzlich", das Gymnasium "stupid", und überhaupt: "... nicht immer wurde das Klassenziel erreicht."

Ob solch schlechter Realität hatte der Sohn jüdischer Eltern immer den Kopf voller Träume und war gewillt, all die "utopischen Stoffe" zu sammeln, "aus denen die Erde besteht".

Viele Umwege

"Es braucht uns als Weichensteller. Wir haben nur Hoffnung. (...) Nur!", sagte Ernst Bloch einmal. Er, der utopische Wanderer, der Marxist, der jüdische Gelehrte, hatte mehrere Umwege machen müssen, war 1933 vor dem Terror der Nazis über Zürich nach Wien geflohen und hatte dort im Jahre 1934 seine Lebensgefährtin geheiratet, die polnische Architektin Karola Piotrowska. Von Wien ging es weiter nach Paris, danach Prag - Geburtsort des gemeinsamen Sohnes Jan Robert.

Bevor die deutschen Truppen auch dort einrücken, flieht die ganze Familie in die USA. Dort widmet sich Bloch wesentlich seiner Philosophie. Reflektiert über die Beziehung von "Subjekt und Objekt" bei Hegel, schreibt über Religionsphilosophie, entwickelt das mehrbändige "Prinzip Hoffnung", konkretisiert seinen Hunger nach Utopie, der ihn wohl auch dazu veranlasste, nach dem Zusammenbruch des "Dritten Reichs" dem Ruf der "antifaschistischen" Staatsgründer im Osten Deutschlands zu folgen. Ein Lehrstuhl für Philosophie in Leipzig, aber auch die mögliche Verbreitung seines Werks in einem irgendwie "neuen Deutschland" reizte Bloch.

Ernst Bloch in der DDR

"Er gehört damit in eine Gruppe von vielen Intellektuellen, die wie Bert Brecht und andere geglaubt haben, in Ostdeutschland den besseren deutschen Staat zu finden, der radikaler mit dem Nationalismus und der Nazi-Vergangenheit Schluss macht und neue Wege geht", erklärt Pirmin Stekeler: "Dass dieses eine Illusion war, dass hier vielleicht auch ein Problem des Lebenswerks von Ernst Bloch sozusagen biografisch sich zeigt, nämlich dass Utopien Illusionen sein können - kein Ort nirgends - und dass man sich deswegen in die falsche Richtung bewegen kann, das zeigt sein eigenes Leben und da war er natürlich eine interessante Figur gerade wegen seiner Ambivalenz. Wir wissen ja alle, dass er, als er nach Ostdeutschland kam, nach Leipzig, zunächst einmal noch in der Stalin-Zeit auch Stalin verehrt hat. Wir müssen einfach auch verstehen, dass wir die Menschen aus ihrer Situation verstehen müssen. Und zu glauben, dass sie sozusagen einen globalen Überblick über die politische Lage oder überhaupt über irgendeine Lage haben, ist einfach Illusion."

Rückkehr in die BRD

Angesichts des Baus der Berliner Mauer im Jahre 1961 kehren Bloch und Familie von einer Reise in die Bundesrepublik nicht in die DDR zurück. Der alte Herr wagt einen neuen Anfang. In Tübingen am Neckar. In der Stadt Hölderlins. Als Gastprofessor. In unmittelbarer Nähe des Schriftstellers und Rhetorikers Walter Jens, der über seinen Freund einmal gesagt hat:

"Er war, wo er war. Er war immer bei sich, er war unter bescheidensten Umständen, einer zweieinhalb Zimmerwohnung in Tübingen oder im amerikanischen Asyl, oder wo auch immer: Es war ein Palast in der Hütte, er konnte in den jämmerlichsten Umständen leben, es war immer Palast, große Welt und weiter Himmel."

Nicht aufgeben!

Die Bloch'sche Hoffnung auf Zukunft hat Realität. Immer wieder taucht sie auf, wird sichtbar. Auch nachdem der 92-jährige Bloch sich, so die Tagebucheintragung seiner Frau Karola, eines Morgens vor den Manuskriptschrank auf den Boden seines Arbeitszimmers legte, raunte: "Ich kann nicht mehr!" - und verstarb.

Ernst Bloch hat die weltgeschichtliche Erzählung all der Hoffnungen und Sehnsüchte zu einem philosophischen Prinzip verdichtet, das Grundrisse enthält, die Kraft geben, zu widerstehen, auch die Kraft, sich neu zu erfinden. Das Leben braucht den Traum, um sich an ihm zu wärmen. Und das kritische Denken, um die Konturen des Traums zu schärfen.

Ernst Bloch: "Die Menschen haben doch viel zu viel Geduld gehabt. Wir haben 400- oder 500.000 Kriege in der Weltgeschichte gehabt, und kaum zehn Revolutionen. Und von den zehn Revolutionen sind acht verloren gegangen und eine pervertiert... zu viel Geduld!"

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