Erschütternde Aufzeichnungen einer Wiener Shoa-Überlebenden

Mignon

Es ist eine Authentizität, die fast zu viel wird: allein über Briefe und Tagebuchaufzeichnungen wird der beklemmende Überlebenskampf einer jüdischen Mutter, Ehefrau und Tochter nachvollziehbar, die im nationalsozialistischen Wien hängen blieb, weil sie nicht ohne ihre kranken Eltern emigrieren wollte.

Die Flucht scheitert

Ihre Schwestern, die kleinen Kinder und selbst der Ehemann hatten längst die USA erreicht und bemühten sich um die Ausreise der Zurückgebliebenen. Als die Flucht bereits aus den USA geplant und die Schiffskarten bezahlt waren, vergingen entscheidende Tage im Wirrwarr langer Kommunikationswege, familiärer Missverständnisse, sich überschneidender Fristen und unklarer Zuständigkeiten, sodass es Mignon Langnas nicht mehr rechtzeitig schaffte, alle notwendigen Dokumente zu erhalten. Danach machte der Kriegsausbruch die letzte Chance auf Flucht zunichte.

Verzweifelte Briefe

In verzweifelten Briefen und Telegrammen wird deutlich, dass selbst diejenigen Opfer, die Familie in Übersee hatten und die Flucht finanzieren konnten, im Dschungel bürokratischer Hürden stecken bleiben konnten. An der Frage nach der Schuld an solchen, durch unklare Umstände verhinderten Ausreisen, drohten Familien zu zerbrechen. Aufgebracht schrieb Mignon an ihren Mann Leo im März 1941 nach New York, nachdem einer ihrer letzten Versuche, Wien zu verlassen, an Koordinationsproblemen gescheitert war:

Rettende Anstellung

Die Lebensbedingungen für jüdische Opfer verschlimmerten sich 1941 täglich, die großen Deportationswellen setzten Ende 1941 ein und erreichten 1942 ihren Höhepunkt. Mignon fürchtete, mit ihrem bettlägerigen Vater - die Mutter war bereits an Krebs verstorben - ebenfalls deportiert zu werden. In letzter Minute vermochte ihr ein alter Freund zu einer Stelle als Hilfskrankenschwester im jüdischen Altersheim, später in den jüdischen Spitälern, zu verhelfen - eine Anstellung, die nicht nur Geld zum Überleben brachte, sondern Mignon und ihren Vater auch vor den Deportationen schützte. Jedoch war dieser Schutz ohne Gewähr.

1941 benötigten die wenigen noch bestehenden, von den Nationalsozialisten kontrollierten jüdischen Einrichtungen zusätzliches Personal zur Befürsorgung alter und kranker Menschen, die aus den Wiener Pflegeheimen entlassen worden waren. Auch Kinder blieben zurück, vor allem jene, die aus sogenannten Mischehen stammten. Mignon zog sich schwere Krankheiten zu und musste miterleben, wie täglich Patienten, aber auch ein Großteil ihrer jüdischen Freunde verschwanden. Ihr Vater starb 1943.

Verdächtigungen der Geretteten

Doch gerade in dieser quälenden Zeit der Angst gewann sie erstmals in ihrem Leben auch Selbständigkeit im Berufsleben. Möglicherweise liebte sie auch den Mann, der ihr dazu verhalf. Angesichts der permanenten Todesängste erlebte Mignon wechselnde innige Beziehungen, die ihr halfen, die Hölle zu bewältigen - Nähen unter Traumatisierten, die auch neue Wunden schlugen.

Im New York ihrer Verwandten stand sie zeitweise im Verdacht, ihre eigenen Kinder und ihren Mann zu vernachlässigen, die Ausreise selbst verzögert zu haben. Als im Herbst 1944 schweren Luftangriffe auf Wien einsetzten, verlor Mignon auch ihr letztes Stück Heimat: das Haus ihrer Eltern wurde getroffen. Was im tagelangen Bombenhagel vom jüdischen Kinderspital über geblieben war, übersiedelte in den Keller. Die letzten Freunde und vor allem die Kinder starben. Schließlich erlebte sie die Befreiung - gefolgt von der Erkenntnis, dass trotz des eigenen physischen Überlebens eine Welt verloren war:

Das Trauma der Überlebenden

Obwohl gerettet und in einem Lager für Vertriebene (DPs) auf dem Weg in die USA, erkrankte Mignon Langnas lebensbedrohlich an Typhus. Geschwächt von den jahrelangen Strapazen, rang sie monatelang mit dem Tod. Im Schutz der Freiheit brachen auch die seelischen Traumata auf, um so mehr, als sie sich wieder nur von Shoah-Überlebenden umgeben fand. Doch dort begegnete sie auch dem Mann, der vermutlich ihre große Liebe war. Eine Liebe, die sie nicht zuließ und zugleich nicht vergessen konnte. Und das ist Teil der bittersten Botschaft dieses Buches, die wohl stellvertretend für die Erfahrung vieler Holocaust Überlebender steht: obwohl Mignon Langnas der physischen Vernichtung entgangen war, litt sie an einer tiefen innerer Entfremdung, die wohl auch zu ihren stetigen körperlichen Leiden beigetragen haben - wenn sie nicht deren Ursache waren.

Durch die von Elisabeth Faller und ihrem Sohn George Langnas in bewundernswerter Akribie aus der halben Welt zusammen getragenen Korrespondenzen konnte das ihrer Familie selbst kaum bekannte Leben Mignons in diesen Jahren rekonstruiert werden. Erschlossen wird dieser biographische Abschnitt fast ausschließlich aus Selbstzeugnissen, die durch kurze historische Abrisse der Herausgeberin erläutert werden. Dieses auch sehr sorgfältig gestaltete Buch ermöglicht Lesern einen zwar fragmentarischen, aber unmittelbaren Einblick in den täglichen Überlebenskampf eines jüdischen Opfers in Wien. Auch dadurch konnte Mignon als Subjekt der Geschichte erhalten bleiben. Ihr selbst kostete die Anstrengung, ein solches zu bleiben, bereits 1949 das Leben.

Text: Irene Etzersdorfer, Bearbeitung: Joseph Schimmer

Service

Studienverlag Innsbruck - Mignon

Das Buch wird am 15. Dezember im Jüdischen Museum Wien vorgestellt.

Jüdisches Museum Wien