Wien, 16. Dezember 2010

Wortlaut des Offenen Briefs

An die Universität für Musik und darstellende Kunst Wien

Sehr geehrte Damen und Herrn,

nachdem ich mich im Frühsommer dieses Jahres für das Vorspiel im Rahmen der Ausschreibung für eine Schlagwerk-Professur an der Universität für Musik und darstellende Kunst Wien beworben hatte, musste ich nun mit Verwunderung feststellen, dass ich für dieses Vorspiel, das kurz vor Weihnachten stattfinden wird, nicht eingeladen wurde. Grundsätzlich steht es natürlich jeder Berufungskommission frei, Bewerber einzuladen oder, wie in meinem Fall, eben auch nicht, doch erscheint mir die Nichtberücksichtigung meiner Person fragwürdig. Obwohl Sie meine künstlerische Laufbahn bereits der Bewerbung entnehmen können und es mir prinzipiell unangnehm ist, meine Karriere nochmals darzustellen, mache ich in diesem Fall eine Ausnahme.

In den letzten Jahren wurde ich als Solist zu Festivals wie den Salzburger Festspielen, dem Lucerne Festival, dem Schleswig-Holstein Musikfestival, dem Rheingaufestival, dem Beethoven Fest Bonn, etc. eingeladen. Als Solist gastiere ich bei Orchestern wie den Wiener Philharmonikern, New York Philharmonic, Münchner Philharmoniker, City of Birmingham Symphony Orchestra, NDR Sinfonieorchester, Gewandhausorchester Leipzig, Oslo Philharmonic, Tonhalle Orchester Zürich, Orchestra Santa Cecilia Roma, BBC Philharmonie, NHK Symphony Tokyo,
Wiener Symphoniker, RSO Wien etc.

Die Zusammenarbeit erfolgt mit Dirigenten wie Andris Nelsons, Philippe Jordan, Peter Eötvös, Riccardo Chailly, Christoph Eschenbach, Ingo Metzmacher, Kent Nagano, Jonathan Nott, Simon Young und anderen.

Meine Kammermusikpartner Martha Argerich, Julian Rachlin, Renaud Capucon, Stefan Vladar, Helene Grimaud, Tzimon Barto, Albrecht Mayer, Clemens Hagen, Benjamin Schmid, Janine Jansen etc. erlauben es mir, stets meinen künstlerischen Horizont erweitern zu können.

In der Saison 2008/2009 war ich Artist in Residence im Leipziger Gewandhaus. In der kommenden Saison werde ich Artist in Residence im Wiener Konzerthaus sowie in der Kölner Philharmonie sein. Weiters haben Komponisten wie Peter Eötvös, Tan Dun, H.K. Gruber, EP. Salonen und Friedrich Cerha Kompositionsaufträge in Arbeit, die ich in den nächsten Jahren zur Uraufführungbringen werde.

Als erster Schlagzeuger in der Geschichte der Deutschen Grammophon unterschrieb ich im letzten Jahr eben bei diesem Plattenlabel einen Exklusiv-Kontrakt.


Nach Vorlage dieser Referenzen war ich zuversichtlich, eine Einladung zum Vorspiel zu erhalten - nur musste ich zu meinem Erstaunen feststellen, dass scheinbar die Qualität und Qualifikation für ein Vorspiel an der Universität für Musik und Darstellende Kunst Wien nicht ausreicht.

Da es der Universitätsleitung bis zum jetzigen Zeitpunkt nicht möglich war, auf Nachfrage, meine Nichtberücksichtigung zu bestätigen, stellt sich der Kommunikationsstil als sehr unzufriedenstellend dar. Ich sehe mich daher gezwungen, meine Sichtweise in diesem Schreiben darzulegen.

An erster Stelle erlaube ich mir, einige Fragen offen zu stellen. Handelt es sich um eine Entscheidungsfindung typisch österreichischer Prägung? Wäre es für die Integrität und Reputation des Hauses nicht besser, eine für alle transparente Entscheidung zu treffen? Als Musiker, der Stolz darauf ist, die große österreichische Musiktradition im Ausland vertreten zu dürfen, hätte ich große Motivation, mein Wissen und meine Erfahrungen an Studierende in einem österreichischen Institut weiterzugeben. Dass man nicht den Mut aufbringt, in einem fairen Wettstreit nach musikalisch-qualitativen Maßstäben zu entscheiden, ist bedauernswert, leistungsfeindlich und für das Institut negativ bezeichnend.

Lassen Sie mich auch noch kurz auf die gewählte Form des Vorspiels eingehen. Anders als international üblich, steht es den Teilnehmern bei diesem Vorspiel nicht frei, selbst ein Repertoire zu wählen und sozusagen ein kurzes Konzertprogramm zu gestalten. Man hat sich dazu entschieden, zwei Etüden (für Pauke und Kleine Trommel) und ein Werk freier Wahl als Pflichtprogramm vorzugeben. Dies ist, verzeihen Sie bitte meine Direktheit, mittelmäßig, lächerlich, provinziell und peinlich.
Diese Programmvorgabe erweckt den Eindruck, das klassische Schlagwerk hätte sich in den letzten Jahrzehnten nicht weiterentwickelt - man hätte auch vor 30 Jahren dasselbe auflegen können, mit dem Unterschied, dass es damals auf der Höhe der Zeit gewesen wäre. Hier wird mit Absicht das erwartete Niveau nach unten nivelliert, damit sich außergewöhnliche Qualitäten nicht darstellen lassen. Dies ist für die internationale Ausrichtung dieser wichtigen Musikinstitution imageschädigend. Bei Vorspielen für eine Musikschullehrer-Stelle in Oberösterreich wird von den Teilnehmern die Darbietung einer weitaus anspruchsvolleren Literatur erwartet.

Ist es den dafür Verantwortlichen entgangen, dass es zur Zeit wahrscheinlich kein vergleichbares klassisches Instrument gibt, dessen Weiterentwicklung entsprechend rasant fortschreitet? Mittlerweile erfreuen wir uns an der Tatsache, dass international namhafte Komponisten großes Interesse daran zeigen, für dieses Instrument zu komponieren.
Oder wurde dieses Literatur-Niveau für das stattfindende Hearing etwa mit Absicht gewählt?

Vor kurzer Zeit vernahm ich eine Wortmeldung von Frau Bundesministerin Kar!, in der sie zurecht wiederholt darauf hingewiesen hat, dass Exzellenz in Lehre und Forschung in höchstem Maße angestrebt werden soll. Diese Ausschreibung steht in diametralem Widerspruch zu dieser Vorgabe!!

Ich hoffe, dies ist ein Einzelfall. Ansonsten müsste man sich um die internationale Reputation des Musiklandes Österreich größte Sorgen machen.

Zum Abschluss darf ich noch betonen, dass ich einer etwaigen Vermutung, ich reagiere aufgrund beleidigter Eitelkeit entsprechend, mit viel Selbstbewusstsein entgegentreten kann. Ich habe in dieser Sache mittlerweile keine persönlichen Interessen. Vielmehr geht es mir darum, eine Diskussion einzuleiten und ich bitte die Verantwortlichen, sich dieser zu stellen.

Mit freundlichen Grüßen
Martin Grubinger