Missbrauchsskandal und Kirchenaustritte

2010 als schwarzes Jahr für katholische Kirche

Das Jahr 2010 wird durch den Missbrauchsskandal und die meisten Kirchenaustritte in der zweiten Republik in die österreichische Geschichte eingehen. Zugleich war es für die katholische Kirche ein Jahr der Wende. Die Kirche zahlt Schmerzengeld und Entschädigungen, insgesamt haben sich mittlerweile rund 2.000 mutmaßliche Opfer gemeldet.

Frühjournal, 29.12.2010

Anfang 2010: 15 Missbrauchsfälle pro Jahr

Anfang 2010 schien es noch, als wäre die katholische Kirche in Österreich eine Insel der Seligen - trotz der Affäre Groer in den 90er Jahren. Deutschland stand im Mittelpunkt der Berichterstattung über sexuellen Missbrauch, nachdem die Kirche in Irland, Australien und den USA längst Zahlungen an Opfer in Millionenhöhe zugestehen hatte müssen. Am 15. Februar berichtet Ö1 nach Recherchen in den neun Diözesen, dass pro Jahr rund 15 Fälle von sexuellem Missbrauch an die kirchlichen Ombudsstellen gemeldet werden.

Kritik an Umgang mit Tätern

Der Psychologe und ehemalige Ombudsstellenmitarbeiter Holger Eich kritisiert indirekt den Wiener Kardinal Christoph Schönborn: Die Kirche verhindere nicht, dass Missbrauchstäter neuerlich mit Kindern arbeiten.

Opfer gehen an die Öffentlichkeit

Ende Februar geht das erste Opfer an die Öffentlichkeit. In der Kleinen Zeitung berichtet ein Obersteirer über schweren sexuellen Missbrauch in seiner Kindheit durch den verstorbenen Pfarrer von St. Gallen, ein Benediktinerpater.

Täter mehr geschützt als Opfer

Anfang März berät die Bischofskonferenz über den Umgang mit Missbrauchsfällen und Kardinal Schönborn räumt schon damals ein, dass in der Vergangenheit die Täter oft mehr geschützt worden seien als die Opfer. Wenige Tage später tritt der Erzabt von Salzburg St.Peter zurück. Ein gebürtiger Salzburger hat ihn im Ö1-Morgenjournal beschuldigt. Vor allem aber hatte das 53-jährige Opfer von zwei anderen früheren Mönchen vor Zeugen ein Eingeständnis des sexuellen Missbrauchs erhalten - ein Beleg für die Richtigkeit der Angaben.

Der Falter berichtet dann über einen steirisch-burgenländischen Priester, der im Interview sexuellen Missbrauch an mehreren Buben und Mädchen zugibt.

Telefonhotline: 50 Anrufe am ersten Tag

Ende März richtet die neugegründete kirchenkritische Plattform Betroffener kirchlicher Gewalt eine Telefonhotline ein. Am ersten Tag melden sich gleich 50 Betroffene. Fünf Tage später reagiert Kardinal Schönborn und gibt bekannt, dass Waltraud Klasnic unabhängige Opferbeauftragte der katholischen Kirche wird. Seither haben sich bei der sogenannten Klasnic-Kommission 729 Betroffene gemeldet, bei der Plattform betroffener kirchlicher Gewalt 325. Und rund 1200 Meldungen haben die kirchlichen Ombudsstellen in den Bundesländern verzeichnet.

"Neue Chancen durch Krisen"

Waltraud Klasnic im Gespräch mir

Klasnic: 2010 war ein Neubeginn

Man brauche Krisen, um neue Chancen und neue Aufgaben zu erkennen, sagt Klasnic. Die katholische Kirche habe den Weg der Versöhnung und der Wiedergutmachung gewählt. Man müsse nun darüber nachdenken, wie man Missbrauchsfälle in der Zukunft verhindern kann. Man dürfe aber nicht vergessen, dass Missbrauch nicht nur in der Kirche vorkommt, sondern in der gesamten Gesellschaft, sagt Klasnic. "Die Opferliste im kirchlichen Bereich ist 1 Prozent – es gibt noch 99 Prozent andere, die zum Teil leider überhaupt nicht gesehen werden. Das geschieht in der Familie, in Vereinen und so weiter." Die Gesellschaft habe das aufzuarbeiten und dazu werde die wissenschaftliche Arbeit der Kommission dienen.

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