Pianist und Philosoph

Alfred Brendel ist 80

Er ist wohl einer der bedeutendsten und prägendsten Pianisten des 20. Jahrhunderts: Alfred Brendel begeht am 5. Jänner 2011 seinen 80. Geburtstag. Vor zwei Jahren hat der Musiker mit österreichischen Wurzeln seine aktive Pianisten-Laufbahn beendet, seitdem ist er als Musikphilosoph und Dichter tätig.

Kultur aktuell, 05.01.2011

"Weder Sklave noch Kindermädchen"

Alfred Brendel war als musikalischer Denker und Interpret immer schon ein Fragender und Suchender: Die Architektur eines Werkes ist bei ihm ebenso wichtig wie sein emotionaler Gehalt, Brendel vereint Analyse und Ausdruck. Welches Verhältnis er als Pianist zum Werk und zum Komponisten einzunehmen habe, war nur eine der Fragen, mit denen sich Brendel stets auseinandergesetzt hat.

"Man darf weder der Sklave noch das Kindermädchen des Komponisten sein", meint der Pianist. "Man muss das, was der Komponist hinterlassen hat, kritisch in sich aufnehmen, aber man sollte jetzt nicht den Eindruck haben, dass man posthum dem Komponisten noch sagen soll, was er eigentlich hätte machen müssen und wo er sich geirrt hat."

Legendäre Schubert-Zyklen

Am intensivsten hat sich Alfred Brendel mit dem Klavierwerk der Wiener Klassiker Haydn, Mozart und Beethoven befasst. In den späten 1970er Jahren leitete er zudem eine Schubert-Renaissance ein: Er betrachtete die Klaviermusik Franz Schuberts als ebenbürtig zu jener Beethovens, widmete sich besonders seinen Klaviersonaten und Spätwerken.

Brendels Schubert-Zyklen sind legendär. Freilich erstreckt sich das Repertoire des vielseitigen Pianisten von Bach über Liszt bis hin zu Schönberg, bekannt ist Brendel aber bis heute als führender Schubert-Interpret.

Wurzeln in ganz Europa

1931 wurde Alfred Brendel im nordmährischen Wiesenberg geboren. Mit sechs Jahren begann er Klavier zu spielen und gab im Alter von 17 Jahren in Graz sein erstes öffentliches Konzert. 1950 kam er nach Wien und startete von hier aus seine internationale Karriere. Seit vier Jahrzehnten lebt Brendel in London. Ein Kosmopolit, der Deutsche, Österreicher, Italiener und Slawen als Vorfahren hat.

"Meine Familie war eine k-und-k-Mischung und ich bin sehr dankbar dafür, dass ich ambulant aufgewachsen bin", sagt Brendel. "Das hat nämlich zur Folge, dass ich keine ausgeprägten Heimatgefühle habe. Und das Wort Heimat versetzt mich eigentlich eher in Schrecken, weil es mich an den Missbrauch dieser Gefühle im Nationalismus und Chauvinismus erinnert.

Zweites Leben als Autor und Vortragender

1977 legte Alfred Brendel seine erste Essaysammlung "Nachdenken über Musik" vor, seitdem befasst er sich in Aufsätzen und Vorträgen immer wieder mit musikphilosophischen Fragen - umso mehr, seit er sich vor zwei Jahren vom Konzertpodium verabschiedet hat. So tritt er in Wien, München oder Paris als Vortragender auf.

Auch skurril-komische Gedichte mit Titeln wie "Kleine Teufel" oder "Ein Finger zu viel" hat Alfred Brendel in den vergangenen Jahren veröffentlicht, sie erscheinen zum Geburtstag in einem Sammelband auf Deutsch und Englisch. Ebenso hat das Label Decca vor kurzem eine CD mit Archivaufnahmen Brendels herausgebracht, die der Pianist selbst ausgesucht hat.

Textfassung: Ruth Halle

Service

TV-Matinee "Alfred Brendel - Ein Finger zuviel", Sonntag, 9. Jänner 2011, 9:35 Uhr, ORF 2

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