Begegnung auf Augenhöhe

Helene Maimann über Bruno Kreisky

"Die erste Begegnung mit Bruno Kreisky fand in einem Seminarraum der Uni Wien statt; Kreisky kam zu Fuß vom Bundeskanzleramt herüber, hat sich vorne hingestellt, Hände in den Hosentaschen, und war mit uns allen auf Augenhöhe, das war damals ungewöhnlich und für uns faszinierend."

Helene Maimann

André Heller erhielt von Bruno Kreisky Geschichtsunterricht.

"Eine Begegnung auf Augenhöhe", so beschreibt die Historikerin Helene Maimann ihr erstes Zusammentreffen mit Bruno Kreisky. Der längst legendäre Staatsmann, der kommende Woche seinen 100. Geburtstag gefeiert hätte, begegnete jenem Häuflein Geschichtsstudenten an der Wiener Uni auf Augenhöhe, indem er die jungen Leute ernst nahm, ihnen fernab von gängigen Floskeln die Politik und ihre Historie nahebrachte - und zuhörte.

In der Folge traf Helene Maimann den Ausnahmepolitiker immer wieder, etwa als sie ihn für ihre Dissertation über die Politik des österreichischen Exils während des Zweiten Weltkriegs befragte. Die jüngste Annäherung Helene Maimanns an den im Sommer 1990 verstorbenen Altkanzler liegt übrigens erst wenige Monate zurück: Soeben hat die vielseitig Engagierte den Film "Bruno Kreisky. Politik und Leidenschaft" fertig gestellt. Der ORF strahlt die Dokumentation am Donnerstag, dem 20. Jänner 2011 aus. Parallel dazu erscheint Maimanns Buch "Über Kreisky. Gespräche aus Distanz und Nähe".

Ein "Ladies' Man"

Die Beschäftigung mit dem Archivmaterial und den zahlreichen Interviews, die sie dafür führte, erwies sich für Helene Maimann als bleibende Begegnung mit Bruno Kreisky: "Wenn man wochenlang sitzt und Archivaufnahmen von Bruno Kreisky anschaut, dann bewirkt dies, dass man eines Tages auch anfängt, von Bruno Kreisky zu träumen, weil die Bilder sich ins Hirn einbrennen. Noch im Nachhinein bin ich vollkommen fasziniert von den vielen Gesichtern dieses Mannes."

Ein Gesicht war das des Charmeurs: Kreisky war, so Maimann, ein "Ladies' Man". Er liebte und schätzte Frauen, war seiner Gattin zeitlebens liebevoll zugetan, pflegte darüber hinaus den Umgang mit schönen Schauspielerinnen und verehrte kluge Damen; selbst die gestrenge Johanna Dohnal soll für Kreisky "als Mann" lobende Worte gefunden haben, erzählt Helene Maimann. Sosehr Kreisky mit seinem eleganten Auftreten die Damenwelt erfreute, sosehr irritierte er damit die politische Konkurrenz:

"Er war ein Sir! Es hat ja die bürgerliche Opposition nicht nur im Parlament, sondern auch in der Gesellschaft verwirrt, dass er immer im Maßanzug, von Kopf bis Fuß perfekt gestylt, dahergekommen ist. Die haben das als eine Art Tarnanzug gesehen, mit dem sich der Kanzler in die bürgerliche Gesellschaft eingeschlichen hat. Große Ballveranstaltungen hat er allerdings nicht gern gehabt, also Frack und Orden hat er nicht geliebt. Aber bis ganz zum Schluss hat er sich immer tip-top angezogen. Ich habe sehr viele Archivbilder gesehen, aber auf keinem einzigen habe ich einen Anzug zweimal gesehen."

Für jeden erreichbar

Zu seinem Glück, so Maimann, hatte Kreisky noch kein Handy, denn: "Kreisky war ein Kommunikationsjunkie. Er konnte ohne Kommunikation mit Menschen eigentlich gar nicht leben. Das begann zeitig in der Früh beim Frühstück - jeder in der Republik hat gewusst, er kann den Bundeskanzler anrufen, er stand ja auch im Telefonbuch. Die Leute sind mit ganz privaten Geschichten zu ihm gekommen, haben sich darüber beklagt, dass ihre Pension so niedrig ist, oder dass ihnen das Wasser in die Wohnung läuft, oder dass irgendwelche Intrigen gegen sie im Gange sind. Und Kreisky hat sich darum gekümmert, er hat alles auf kleine Zetterln geschrieben, kam dann in sein Büro und hat dann die Zetteln dort an die Mitarbeiter verteilt, dass sie sich darum kümmern, die waren dann den ganzen Tag damit beschäftigt, diese Zetteln aufzuarbeiten!"

Helene Maimann ist Bruno Kreisky in einer bestimmten Phase seiner Laufbahn auch sehr kritisch gegenüber gestanden und trug zahlreiche Konflikte mit ihm aus. Als Historikerin konnte sie etwa Kreiskys "Politik des Gräben-zuschüttens", wie sie es formuliert, nicht akzeptieren:

"Er hat es nicht gern gehabt, wenn in Österreich über die Nazi-Vergangenheit geredet wurde, weil dann seine jüdische Herkunft aufs Tapet kam, was er nicht wollte. Zweitens wollte er die Bevölkerung nicht in Opfer und Täter und Mitläufer spalten, was für mich nicht zu verstehen war. Aber auf der anderen Seite hat er in dem Land so viel weitergebracht, es war vor Kreisky ein zementiertes Land, ein auf sich bezogenes Land, ein enges Land. Kreisky hat die Fenster zur Welt aufgemacht - und er hat die jungen Leute ernst genommen und sich ihnen verpflichtet gefühlt. Das war neu in der Politik."

Den Zugang zur Jugend intensivieren

Apropos Jugend: Eine langjährige und sehr persönliche Beziehung pflegte Bruno Kreisky zu André Heller. Anfang der 1970er Jahre war Heller ein prominenter Radio-Redakteur mit Popstar-Status, erinnert sich Helene Maimann. Kreisky kontaktierte den vielversprechenden Mann, um seinen Zugang zur Jugend zu intensivieren. Das vereinbarte Gespräch geriet dann aber eher zum Vortrag, wie Heller in Maimanns Film erzählt:

"Kreisky hat André Heller eingeladen, er hat gehacktes Ei und Kipferl aus dem Café Demel holen lassen, und es ging schon los: '1934', hat er gesagt und einen langen Vortrag über die Februar-Aufstände gehalten; dann: 'Churchill', dann 'Lenin'. Heller, damals Anfang 20, hat von Kreisky Geschichtsunterricht bekommen!"

Bis zum letzten Moment interessiert

Die letzten Jahre seines Lebens war Kreisky schwer krank, er litt an Diabetes, Bluthochdruck, Nierenproblemen; gegen Ende war er nahezu völlig erblindet und gebrechlich; dazu kam, dass er die großen Konflikte seins Lebens, etwa jene mit Simon Wiesenthal und Hannes Androsch, nicht lösen konnte. Und auch die großen weltpolitischen Entwicklungen fanden bereits ohne ihn statt.

"Er hat gewusst, dass seine Zeit zu Ende geht, das große Drama aber war, dass 1989/90 die Revolution in Europa war, der Kommunismus zusammengebrochen ist - und er, der doch so gerne mitgemacht hätte, konnte nicht mehr. Das war schrecklich für ihn. Im Sommer 1990, Ende Juli, ist er gestorben, und wenige Tage vorher hat ihm sein Sohn Peter noch Zeitungsartikel vorgelesen. Er hat sich für das, was in der Welt passiert, bis zum letzten Moment interessiert."

Service

"Bruno Kreisky. Politik und Leidenschaft", Dokumentation von Helene Maimann, 20. Jänner 2011, ORF 2; der anschließende "Club 2" dreht sich ebenfalls um Bruno Kreisky.

Buch: Helene Maimann, "Über Kreisky. Gespräche aus Distanz und Nähe", Falter Verlag