Was Gesichter verraten

Ich weiß, dass du lügst

Der amerikanische Psychologe Paul Ekmann erforscht seit mehr als vierzig Jahren, wie Gefühle entstehen, wie sie sich äußern, und wie man sie bei anderen lesen kann. Paul Ekman hat die TV-Serie "Lie To Me" wissenschaftlich begleitet und ist geistiger Vater der Hauptfigur.

"Ich bringe Leuten nicht bei, wie sie besser lügen. Ich bin nur dort tätig, wo meine Arbeit mehr zum Guten als zum Schlechten benutzt wird", erklärt Paul Ekman, der weltweit als der Spezialist für nonverbale Kommunikation gilt. Er berät als Lügenexperte unter anderen das FBI und die CIA.

In seinem Buch " Ich weiß, dass du lügst" beschreibt der 1934 Geborene, wie und warum wir Menschen lügen, warum manche dabei erfolgreich sind, andere nicht. Und er zeigt, wie sich eine Lüge in Körpersprache, Stimme und vor allem im Gesichtsausdruck niederschlägt.

Universelle Mimik

"Die meisten Menschen, die Matura gemacht haben, ganz zu schweigen von denen, die studiert haben, achten sehr auf Worte", erzählt Ekman, "und das so sehr, dass sie übersehen, was im Gesicht zu lesen ist. Das ist so in allen zivilisierten Kulturen."

Paul Ekman wurde sich dieses Phänomens bewusst, als er in den 1950er Jahren in Kalifornien Psychologie studierte. In den therapeutischen Übungssitzungen beobachtete er überrascht, wie viel mehr dabei ablief, wenn man nicht nur auf Worte achtet. Fasziniert beschloss er, das Gesicht und seinen Ausdruck zu entschlüsseln.

Seither hat er in jahrzehntelanger Forschung bewiesen: Die Mimik, also alles, was sich in unserem Gesicht abspielt, während wir reden und denken, läuft bei allen Menschen nach demselben Muster ab. Weltweit. Anders als etwa Gesten mit den Händen, die sich von Land zu Land unterschieden.

"Gesten sind kulturspezifisch, die Ausdrucksformen für ein Gefühl im Gesicht sind universell", erklärt Ekman. "Kulturelle Unterschiede gibt es dabei nur hinsichtlich dessen, inwieweit wir lernen, unseren Gesichtsausdruck zu kontrollieren. Ich nenne das unsere Schaufensterauslage. In einer Studie stellte ich fest, dass Japaner im privaten Rahmen und vergleichbarer Situation die gleiche Mimik zeigten. In Anwesenheit einer Autoritätsperson kontrollierten sie sich aber wesentlich mehr als die amerikanischen Studenten der Kontrollgruppe."

43 Elemente des Ausdrucks

Für seine Forschungen lernte Paul Ekman, selbst alle Muskeln im Gesicht bewusst zu bewegen, bestimmte Mimikspiele immer wieder herbeizuführen und an den Reaktionen des Gegenübers zu testen. Er identifizierte 43 verschiedene Elemente des Ausdrucks, die er Aktionseinheiten nannte.

Diese Einheiten kombinierte er wiederum untereinander und filterte 3.000 noch feinere Variationen heraus. Aus ihnen erstellte er einen 500 Seiten starken Gesichtsatlas, der heute Therapeuten wie Kriminalisten, Werbefachleuten und Trickfilmstudios als Standardwerk dient.

Paul Ekman unterscheidet in seinem Buch zwei Hauptformen der Lüge: Verheimlichung - also das Weglassen wahrer Informationen - und Verfälschung - die Präsentation falscher Informationen als Wahrheit. Entsprechend können wahre Gefühle und der dazu passende Gesichtsausdruck versteckt oder falsche Emotionen vorgetäuscht werden.

Verheimlichung und Verfälschung

"Verheimlichte Emotionen kann man ganz gut erkennen", erzählt der Psychologe". Ich habe eine CD entwickelt, nach der zu meiner großen Überraschung Leute schon nach knapp einer Stunde die Gefühle lesen konnten. Ohne Anleitung können das auch Polizisten und Beamte vom FBI nicht. Ich spreche von Mikroexpressionen, das sind kleinste Regungen im Gesicht. Sie entstehen, wenn man starke Gefühle verbirgt: Der dazu passende Gesichtsausdruck blitzt dann nur noch ganz kurz auf - bis zu einem 25tel einer Sekunde. Gleichzeitig wird er nur noch im Ansatz ausgeführt. Man kann aber lernen, ihn zu sehen. Auch dafür gibt es eine Anleitungs-CD."

Schwieriger aufzudecken als die Mikroexpressionen sind nach den Forschungen von Paul Ekman vorgetäuschte Gefühle. Besonders das Verfälschen negativer Emotionen fällt den meisten Menschen jedoch offenbar schwer. Sie können die Muskeln, die benötigt werden, um auf realistische Weise etwa Kummer oder Angst zu vorzutäuschen, nicht vorsätzlich bewegen. Das Lächeln, das als das Gegenteil aller negativen Gefühle gelte, so Paul Ekman in seinem Buch, sei hingegen die am häufigsten - und am effektivsten - vorgetäuschte Emotion.

"Nach Darwins Evolutionstheorie hieße das: Wäre es so wichtig, dass die Menschen unterscheiden könnten, wann andere sich wirklich freuen und wann nicht, dann hätte die menschliche Rasse ein eindeutiges Signal dafür entwickelt", führt Ekman aus. "Das ist also nicht wichtig für das Überleben. Die meisten Menschen wissen nur, dass jemand anderes sich zu amüsieren scheint. Vielleicht ist es tatsächlich so - oder auch nicht."

Vom Aufdecken zum Verändern

Wer die 500 Seiten des Buchs liest, weiß, Paul Ekman macht sich diese Aufgabe nicht leicht. Akribisch und systematisch vertieft er Seite für Seite die Informationen, die er am Ende jedes Kapitel nochmals kurz zusammenfasst.

Das Buch ist ein "Muss" für alle in diesem Bereich professionell Tätigen. Und ein faszinierendes Buch für alle am Thema ernsthaft Interessierten. Nach Paul Ekmans eigenen Worten ist das Buch gedacht für Menschen, die Lügen bei anderen aufdecken wollen. Indem er ihnen dabei hilft, gibt er ihnen seinem Verständnis nach auch die Chance, sich selbst besser zu verstehen und sich zu verändern.

Service

Paul Ekman, "Ich weiß, dass du lügst. Was Gesichter verraten", aus dem Englischen übersetzt von Hubert Mania, Rowohlt Taschenbuch Verlag

Rowohlt Magazin - Paul Ekman: Ich weiß, dass du lügst