Der Wiener Kinetismus

"Dynamik!" im Belvedere

"Dynamik!" heißt eine neue Ausstellung im Belvedere, in der das Phänomen des Wiener Kinetismus ins Rampenlicht gerückt wird: Es ist das die speziell österreichische Spielart, in der zwischen 1919 und 1929 Kubismus und Futurismus verarbeitet wurden.

Mittagsjournal, 09.02.2011

Zentral für diese Kunstrichtung war die Wiener Kunstgewerbeschule um Franz Cizek, der hier die europäischen Avantgardeströmungen in eine ganz eigenständige, sehr bewegte Form brachte.

Frauen auf Akademie nicht zugelassen

Bisher wurde das Phänomen des Wiener Kinetismus wenig beachtet. Nicht einmal von den Zeitgenossen, wie Harald Krejci, der Kurator der Ausstellung erklärt. Der Grund: die Schüler, die sich um Franz Cizek in der Klasse für ornamentales Gestalten versammelt hatten, waren vor allem Frauen: "Man muss sich vergegenwärtigen: An der Akademie waren zu der Zeit, Anfang der 1920er Jahre, überhaupt keine Frauen zugelassen", gibt Krejci zu bedenken.

"An der Kunstgewerbeschule wurden nicht in allen Fächern Frauen zugelassen. Insofern bildeten sie an sich schon sozialpolitisch eine Minderheit und die Kunsthistoriker waren noch eine Ecke konservativer und haben sie nicht für voll genommen."

Raffinierte Farbgebung

Erst heute erkennt man die Qualität und die Eigenständigkeit der Arbeiten aus dieser Zeit. Da hängt etwa ein großer Flügel von Erika Giovanna Klien, den sie aus lauter geometrischen Figuren komponiert hat. Sie lässt ihn in raffinierter Farbgebung oszillieren, sodass er in überraschender Leichtigkeit und Eleganz über das Blatt schwirrt. Denn im Kinetismus ging es darum, aus einer inneren Bewegung heraus elementare Bildrhythmen zu schaffen.

Daher beschäftigten sich Cizek-Schülerinnen wie Erika Giovanna Klien, Marianne Ullmann oder Elisabeth Karlinsky viel mit zeitgenössischem Tanz. Sie wollten tänzerische Ausdruckformen in die Malerei aufnehmen: "Tanz spielte in Wien schon immer eine Rolle. Das geht zurück bis in die 1910er-Jahre. Auch Oskar Kokoschka hat sich mit Tanz auseinander gesetzt. Sehr viele Künstler haben sich über den Tanz inspirieren lassen - auch Klimt. Das ist eher eine Tradition in Wien", so Krejci.

Avantgarde in Wien späte rezipiert

Meisterwerke aus ganz Europa von Pablo Picasso, Franz Marc und Fernand Léger werden hier den Arbeiten des Kinetismus gegenüber gestellt. Deutlich tritt dabei zutage, dass, obwohl es bereits 1914 in der Galerie Mietke in Wien eine Kubismus-Ausstellung gab, in der auch kubistische Arbeiten von Pablo Picasso gezeigt wurden, Avantgardeströmungen wie Kubismus und Futurismus, die noch vor dem Ersten Weltkrieg in ganz Europa ihre Spuren hinterließen, in Wien relativ spät rezipiert wurden.

"In Österreich war der Expressionismus so verankert, dass man hier eigentlich eine Art Nationalkunst darin gesehen hat. Der Expressionismus war ein allgegenwärtiges Kunstphänomen und die Neue Sachlichkeit war eine zweite Schiene, die da gefahren werden konnte. Aber der Kubismus war einer ganz kleinen Minderheit von Künstlern vorbehalten, die das letzten Endes alleine zu Hause gemacht haben", erläutert Krejci.

Spät, aber dafür umso eigenständiger und mit umso stärkerer Dynamik wurde dann die innere Bewegtheit des Expressionismus in die neuen Avantgardebewegungen hinübergeführt.

Textfassung: Rainer Elstner

Service

"Dynamik!", 10. Februar 2011 bis 29. Mai 2011, Belvedere,
Ö1 Club-Mitglieder bekommen Ermäßigung auf den Eintrittspreis (EUR 1,-).

Belvedere