Dudow-Retrospektive im Filmarchiv

Der Schöpfer von "Kuhle Wampe"

"Kuhle Wampe" gilt heute als einer der ersten und konsequentesten marxistischen Filme der Weimarer Republik. Doch anders als der Film selbst ist dessen Regisseur Slatan Dudow weitgehend in Vergessenheit geraten. Das österreichische Filmarchiv widmet Dudow nun eine Retrospektive, die sein Gesamtwerk beleuchtet.

Kulturjournal, 21.02.2011

Selbstmord auf der Leinwand

Ein junger Mann steht vom elterlichen Esstisch auf, er blickt kurz in die Kamera, geht zum Fenster und springt. So könne man einen Selbstmord - auch den eines Arbeitslosen - nicht darstellen, so die Zensurbehörden. "Kuhle Wampe" wurde verboten, zugelassen und später wieder verboten.

Das Drehbuch zu diesem Film hat Slatan Dudow gemeinsam mit Bertolt Brecht und Ernst Ottwalt geschrieben. Sie mischen Spielfilm und dokumentarisch wirkendes Material, Alltagsberichte und Agitprop. Arbeitslosigkeit und soziales Elend werden dabei an Einzelschicksalen festgemacht.

Einfluss von Eisenstein

Man spüre hier schon den Einfluss der jungen sowjetischen Filmemacher rund um Sergej Eisenstein, so der deutsche Autor und Filmpublizist Ralf Schenk: "Dudow und Eisenstein eint tatsächlich in ihrer Auffassung von Kino, dass das Schicksal des Einzelnen stellvertretend steht für das Schicksal der Allgemeinheit. Und wenn sich der Einzelne, wie Marx das sagt, aus seinen Ketten befreit, dann besteht auch die Möglichkeit, dass sich die Gesellschaft aus diesen Ketten befreit."

Dudow lernte Eisenstein bei einer Reise in die UdSSR kennen. Ein Treffen, das den jungen Regisseur nachhaltig beeinflusst hat. Montagetechniken, Themen und Motive Eisensteins finden sich immer wieder auch in Dudows Filmen.

Musik von Hanns Eisler

1922 war Slatan Dudow von Bulgarien nach Berlin gekommen, wo er bei Fritz Lang hospitierte, Chormitglied bei Erwin Piscator war und schließlich auch Bert Brecht kennenlernte. Besonders nachhaltig für Dudows Filme war auch die Bekanntschaft mit dem österreichischen Komponisten Hanns Eisler, der die Musik zu den meisten seiner Filme geschrieben hat. Musik, die bei Dudow immer wieder eine tragende Rolle spielt.

"Ich denke, dass Dudow relative viel bei Brecht gelernt hat", sagt Schenk. "Eisler und Dudow waren sich einig, dass man die Musik natürlich auch als emotional treibendes Mittel einsetzen muss, aber auch als Mittel, um die Handlung zu unterbrechen und bestimmte pädagogisierende Elemente in die Handlung einzuführen."

Die Musik unterbricht und untermalt, rhythmisiert und erzählt das weiter, was im Bild zu jener Zeit nicht gezeigt werden kann.

Frauenfiguren als treibende Kraft

Dudows Filme, so Schenk, waren Liebeserklärungen an Leute, die über die Gegenwart hinaus über die Zukunft nachdachten. Und die Frau ist dabei immer wieder die treibende Kraft in Dudows Utopie von einer besseren Zukunft: "Er hat eigentlich immer Heldinnen, als Frauen als Helden seiner Filme gewählt. Und er hat Frauen immer den aktiveren Part in der Gesellschaft zugebilligt."

Anders als im Eskapismus des deutschen Heimatfilms dieser Zeit, steht die Frau nicht nur am Herd, sondern sie treibt die Handlung voran, ist politisch aktiv und fordert ihre Gleichstellung ein. So wie etwa die junge Richterin Barbara, die in einer Szene von "Frauenschicksale" aus dem Jahr 1952 das Fehlen von Richterinnen beklagt.

Am Ende von "Frauenschicksale" wird programmatisch August Bebel, einer der Begründer der sozialdemokratischen Arbeiterbewegung in Deutschland, zitiert: "Es gibt keine Befreiung der Menschheit ohne die soziale Unabhängigkeit der Frau."

Scheinbar heile Welt im Osten

Die meisten Filme, die Dudow zwischen 1949 und 1956 nach seiner Rückkehr aus dem französischen und schweizerischen Exil realisiert hat, beschäftigen sich mit der Situation der beiden deutschen Staaten. Wie in zahlreichen anderen DEFA-Filmen dieser Zeit werden die beiden Gesellschaften zueinander in Beziehung gesetzt und gegenübergestellt.

Damit bricht Dudow 1959 mit seinem Film "Verwirrung der Liebe". Er porträtiert darin eine junge Generation, die in der DDR aufgewachsen und in diese sozialistische Gesellschaft hineingewachsen ist. Der Blick ist in dieser einfach gestrickten Liebeskomödie ausschließlich auf eine scheinbar heile Welt im Osten gerichtet. Sinnbildlich dafür steht eine fast 20-minütige Szene, die einen Faschingsball zeigt, auf dem ausgelassen gefeiert wird. Kein Zwang, keine Sorgen, nur eine heile sozialistische Welt.

Blick auf Gesamtwerk lohnt

Slatan Dudow ist heute vor allem wegen "Kuhle Wampe" in Erinnerung. Man sollte diesen etwas in Vergessenheit geratenen Regisseur aber nicht nur auf diesen seinen bekanntesten Film reduzieren, so Schenk, sondern den Blick auch wieder auf Dudows Gesamtwerk ausweiten - auf seine Filme, aber auch auf seine komplett in Vergessenheit geratenen Theaterarbeiten.

"Immerhin gehörte er zu den Regisseuren, die mit Brecht im Exil 'Die Mutter' und 'Furcht und Elend des Dritten Reiches' in der Schweiz auf die Bühne gebracht haben. All das zusammengenommen zeigt doch einen viel größeren Dudow", betont Schenk.

Slatan Dudow starb 1963 bei einem Autounfall - auf dem Heimweg von Dreharbeiten zu seinem unvollendeten Film "Christine."

Textfassung: Rainer Elstner