Ein Mädchen in der Vorstadttristesse

Fish Tank

Verletzte Gefühle, soziale Verwahrlosung, Vorstadttristesse. Nicht unbedingt eine Atmosphäre, in der man aufwachsen möchte. Doch eine 15-Jährige hat im Filmdrama "Fish Tank" keine andere Chance. Wie sie damit umgeht, schildert die britische Regisseurin Andreas Arnold mit Direktheit, aber auch mit Einfühlungsvermögen.

Kultur aktuell, 22.02.2011

Girl aus Essex eckt an

Eine Kratzbürste ist im Vergleich zur 15-jährigen Mia quasi streichelweich. Wo immer sie kann, und das ist fast überall, eckt Mia an. Freundinnen? Fehlanzeige. Mia wohnt in Essex, östlich von London, eine unwirtliche Gegend, in der Menschenfreundlichkeit von vornherein nur schwer zu kriegen ist. So streunt die Halbwüchsige wie ein Hund durch eine Betonwüste.

Grün ist hier nur das reichlich wuchernde Unkraut, Alkohol gehört wie selbstverständlich zur Freizeitgestaltung, der Autoschrottplatz wird zum Erlebnispark, der Fernseher zum guten Freund und zu Hause im Plattenbau herrscht dicke Luft, die Mutter alleinerziehend, der Vater? Nicht existent. Schule? Ein Fremdwort. Einzig im Tanzen zu Hip-Hop findet Mia Lebenssinn, dabei könne sie auch, so Regisseurin Andrea Arnold, "ganz bei sich selbst sein".

Vakuum der Pubertät

Allein der Liebhaber der Mutter kann es mit Mia aufnehmen, er wird zur Ersatzvaterfigur und zu einer Projektionsfläche für ein mögliches anderes Leben. "Fish Tank" erzählt vom Aufwachsen nicht nur in einem desolaten sozialen Umfeld, sondern auch in jenem Vakuum der Pubertät, in dem man nicht mehr Kind ist, aber vom Erwachsensein nur eine Vorahnung hat, also jene Phase des Lebens, in der Wertvorstellungen kontinuierlich einer Prüfung und Korrektur unterzogen werden.

Das wäre wie in einem Aquarium, einem "Fish Tank", wo sich auch viel Leben auf engem Raum befinde, meint Regisseurin Andrea Arnold in Anspielung auf den Filmtitel.

Sozialrealismus à la Ken Loach

Andrea Arnold trägt mit "Fish Tank" nicht zuletzt eine Milieustudie in der Tradition des britischen Sozialrealismus à la Ken Loach oder Mike Leigh vor. Geradlinig, kraftvoll, authentisch. Und wenn Mia schließlich ein "Ich hasse dich" schnauzt, dann klingt das wie eine halbe Liebeserklärung. Es gibt also Hoffnung im Aquarium.

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