Diktator stützt sich auf Söldner und Familie

Gaddafis Macht schwindet

Der Osten Libyens ist unter der Kontrolle der Aufständischen. Diplomaten, Minister und Militärkommandanten kündigen Gaddafi die Gefolgschaft auf. Trotzdem: Der langjährige libysche Diktator will offenbar nicht aufgeben.

Mittagsjournal, 24.02.2011

Militärs laufen über

Militärkommandanten laufen mit ihren Einheiten zu den Demonstranten über, Piloten fliehen mit ihren Kampfjets nach Malta oder retten sich durch den Absprung mit dem Fallschirm und lassen dann ihren Flieger am Boden zerschellen, um so dem Befehl zu entgehen, Bomben auf die Protestierenden zu werfen. Es ist ein Bild einer Armee, die sich mehr und mehr von ihrem Oberbefehlhaber, Staatschef Gaddafi abwendet - und doch: Libyen-Experten sind sich einig, dass all das Gaddafis Macht nicht wirklich bedroht.

Gaddafi hat das Militär nicht hinter sich

Auf die Armee hat sich der Diktator nämlich nie gestützt. Er hat sie mit rund 40.000 Mann verhältnismäßig klein gehalten, und auch modernere Ausrüstung hat die Armee nie bekommen. Die Kämpfer, die in den letzten Tagen auf die Demonstranten geschossen haben, stammen nicht aus Libyen, sondern aus Ländern wie dem Tschad oder Niger, sagt Nouri al Masmari, der frühere Protokollchef Gaddafis, der sich nun nach Paris abgesetzt hat: "Er setzt Söldner ein. Und das nur aus einem Grund: Er kann nämlich die Armee nicht verwenden, weil das sind nämlich Libyer, treue und ehrlich Menschen, die nicht ihre Cousins und Onkel, ihre Freunde töten. Gadffi vertraut der Armee nicht."

Söldner und Spezialeinheiten

Der Einsatz von Söldnertruppen zur Niederschlagung von Aufständen hat in Libyen seit den 80er Jahren Tradition. In den letzten Tagen wurden aber noch zusätzliche Einheiten ins Land geholt. Wieviele Söldner es nun tatsächlich gibt, darüber kann man allerdings nur spekulieren. Vielleicht 3.000 oder 4.000 Mann, lauten die letzten Schätzungen. Daneben gibt es aber auch eine ganze Menge von libyschen Elitetruppen, die nicht zur regulären Armee gehören - so etwa die von Gaddafi-Sohn Khamis geleitete 32. Brigade, die über die neueste Ausrüstung verfügt und von der britischen Spezialeinheit SAS ausgebildet wurde. Daneben existieren auch noch Volksmilizen, Spezialbrigaden unter Kontrolle der Revolutionskommitees, sogenannte Sicherheitsbataillone und Säuberungskomitees. Zahlenmäßig sind all diese Einheiten weit stärker als die reguläre Armee. Sie werden oft von Vertrauensleuten Gaddafis kommandiert und sie stehen alle - bis jetzt zumindest - loyal zu Gaddafi.

Gaddafi stützt sich auf Familie

Und dann gibt es natürlich auch noch den allerengsten Kreis. "Sich auf seine eigenen Söhne zu stützen, die jetzt um ihr Überleben kämpfen, das ist jetzt die Strategie Gaddafis", sagt Mohamed Ali Abdullah, ein libyscher Oppositionsführer im Exil gegenüber dem arabischen Fersehsender Al Jazeera. Zumindest nach außen zeigt die sonst zerstrittene und exzentrische Familie nun Einheit: Sohn al-Saadi erklärt heute gegenüber der Financial Times, 85 Prozent des Landes seien ruhig und sicher, und Tochter Aisha tritt im libyschen Staatsfersehen auf. Dort wirft Aisha ausländischen Fersehstationen vor, ein vollkommen falsches Bild der Lage zu vermitteln.

Stämme als Machtfaktor

Bleiben schließlich noch die Stämme als weiterer Faktor im libyschen Machtgefüge, meint Oppositionsführer im Exil Abdullah. Werden sie letzlich entscheiden, ob sich Gaddafi halten kann? "Die echten Stammesführer sind von Gaddafi an den Rand gedrängt worden. Das war eines der ersten Dinge, die Gaddafi getan hat, als er an die Macht gekommen ist. Er kann einfach nicht akzeptieren, dass irgendjemand anderer ähnlich stark ist wie er. Zur Zeit gibt es zwei Arten von Stammesführern: Die echten, historischen, die die Weisheit und Fähigkeit haben, ihr Volk zu führen, und dann gibt es jene Stammesführer, die Gaddafi als Marionetten eingesetzt hat. Aber inzwischen haben sich beide Gruppen von Gaddafi abgewandt, schlicht weil sie diese Gewalt gegen ihre eigene Bevölkerung nicht mittragen wollen."

Gaddafitreue Stämme

Trotzdem: Es gibt ganz sichtlich Stämme, die weiter treu zu Gaddafi stehen. Ob es Gaddafi gelingen könnte, sie in einen Bürgerkrieg gegen den Rest der Bevölkerung zu hetzen - das ist aber eine Frage, auf die selbst Libyen-Experten keine einheitlich Antwort finden.