Gespenster der Vergangenheit
Frederic Morton über seinen Ursprungsort
"Es ist immer ein kleiner Schock, wenn ich in das Wien heute komme, denn jedes Mal erwarte ich, dass ich das Wien meiner Kindheit wiedersehe, doch dann merke ich, diese Stadt ist im selben Zeitalter angekommen wie New York!" Frederic Morton.
8. April 2017, 21:58
Frederic Morton, Schriftsteller
"Ich bin ja einer jener Emigranten, die ein zwiespältiges Leben führen."
Ein einstmals Vertriebener kehrt zurück an die Stätte seiner Vergangenheit. 1924 als Jude Fritz Mandelbaum in Wien geboren, floh er 1939 mit seinen Eltern zunächst nach England und gelangte schließlich nach New York, wo er als anerkannter Schriftsteller noch heute wohnt. In Leporellos "Begegnungs"-Serie schildert Morton seine gelegentlichen Besuche in Wien als ein immer wieder irritierendes Zusammentreffen von Gegenwart und Vergangenheit.
"Ich bin ja einer jener Emigranten, die ein zwiespältiges Leben führen, mit 14 bin ich rübergekommen, hatte zuerst nur amerikanische Freunde und schrieb meine Bücher und Artikel nur auf Englisch. Ich denke und träume auch auf Englisch, aber trotzdem bin ich in vielerlei Hinsicht sehr an meinen Ursprung gebunden. Diese Begegnung mit diesem Ursprung findet in mir selbst statt, und mit dem Zwiespalt in mir muss ich fertig werden. Für mich als Schriftsteller ist dieser Zwiespalt aber natürlich zugleich auch fruchtbar!"
Bindeglied zwischen Gestern und Heute
Frederic Morton, der auf Einladung des Wiener "Kunstraum Ewigkeitsgasse" sowie des Jüdischen Museums in der Stadt ist, befindet sich diesmal in Begleitung seiner Tochter Rebecca. Auf dem Weg zu den Wurzeln seiner Identität ist Rebecca das Verbindungsglied zwischen Gestern und Heute.
"Das ist seltsam: da stehe ich mit meiner Tochter, die eine richtige Amerikanerin ist und auch eine Amerikanerin als Mutter hatte – und die für mich eine Art Brücke zu meinem Emigrantenleben ist, "meint Morton. "Sie verkörpert das, was später mit mir passiert ist, sie ist das lebendige Beispiel meines amerikanischen Selbst."
Rebecca Morton, eine Filmemacherin, liebt es, ihren Vater Deutsch sprechen zu hören. Sie begegne, sagt sie, in Wien gleichsam einer anderen Persönlichkeit des Frederic Morton: seine Körpersprache sei weicher, wenn er deutsch spreche, und während er beim Englischsprechen auf sie wie Clint Eastwood wirke, der kaum die Lippen bewege und sehr cool sei, ströme ihr Vater beim Wienerisch-reden Wärme und charmante Herzlichkeit aus.
Aufgewachsen beim Brunnenmarkt
In der Thelemanngasse, einer winzigen Zeile mit nur wenigen Häusern, am Rand des Brunnenmarkts gelegen, ist Frederic Morton aufgewachsen. Zwei Häuser befinden sich heute noch im Familienbesitz der Mortons. Auf der Nummer 6 hat sich der "Kunstraum Ewigkeitsgasse" etabliert, hier wird zurzeit die Ausstellung "Zwischen Welten" der Künstlerin Sibylle von Halem gezeigt, die auch Bezug zum Leben Frederic Mortons nimmt. Im Erdgeschoß der Nummer 8, seinem Kindheitshaus, ballt sich Geschichte auf engstem Raum. Frederic Morton führt durch die alten Mauern:
"Hier war die Werkstätte meines Großvaters, der k.-u.-k.-Orden produziert hat, dann war da eine Tanzschule, daraufhin eine orthodoxe Betstube, dann ein SA-Lokal, also alles sehr wienerisch! Danach folgten eine Skihosenfabrik und eine Weinhalle. Und zum Schuss befand sich hier ein Türkenzentrum mit Moschee."
Eine Begegnung mit der eigenen Vergangenheit kann aufgrund von Bildern, Personen, aber auch durch Düfte ausgelöst werden. Frederic Morton über das Nachbarhaus: "Da war früher einmal eine Greißlerei, die der Frau Miksch gehört hat. Diese Gerüche von Butter und Käse, vor allem den stinkigen Käse, den Quargel, werde ich nie vergessen. Der Geruch regt mein Gedächtnis bis heute an und hat mitgeholfen, dass ich mein Buch 'Ewigkeitsgasse' geschrieben habe, womit die Thelemanngasse gemeint ist."