Reykjaviks Bürgermeister zu Gast in Wien

Rettet Kunst Politik?

Ein Disneyland für die isländische Hauptstadt, kostenlose Handtücher für alle Schwimmbäder und Eisbären für den Zoo. So lauteten 2010 die politischen Forderungen einer isländischen Spaßpartei, die sich selbstironisch die "Beste Partei" nennt und seit 15. Juni 2010 mit Jón Gnarr den Bürgermeister der isländischen Hauptstadt Reykjavik stellt.

Kulturjournal, 15.03.2011

Den Isländern ist Jón Gnarr seit Jahren als Komiker aus Film und Fernsehen bekannt, doch seitdem er in Reykjaviks Rathaus sitzt, interessiert man sich international für den Polit-Clown aus Europas nördlichster Hauptstadt. Am 15. und 16. März 2011 ist Jón Gnarr Gast des Kulturvereins Aktionsradius Wien.

Disneyland nach Reykjavik!

Jón Gnarr hat geschafft, wovon auch Künstler wie Josef Beuys und Christoph Schlingensief geträumt haben: Wie Beuys mit der "Deutschen Studentenpartei" und Schlingensief mit "Chance 2000" gründete der isländische Komiker eine Partei, die sich nicht weniger vorgenommen hat, als das traditionelle Parteienspektrum zum Erodieren zu bringen. Und im Gegensatz zu Schlingensief und Beuys war Jón Gnarr äußerst erfolgreich: Bei den Kommunalwahlen im Mai 2010 holte Gnarrs "Beste Partei" auf Anhieb die meisten Stimmen. Gemeinsam mit seinen Künstlerfreunden sitzt er jetzt im Rathaus. Eine Herausforderung, wie Jón Gnarr sagt:

"Es ist eine faszinierende Erfahrung, nicht nur für mich, sondern für mein ganzes Team. Die anderen politischen Parteien ärgern sich oft über uns, weil wir Neues ausprobieren und für eine neue politische Praxis stehen. Vor allem was die politische Kommunikation und Sprache betrifft. Ich glaube, dass es sehr wichtig ist, dass es nicht nur Berufspolitiker gibt. Die Zivilgesellschaft muss sich politische mehr einbringen. Auch Künstler! Ich glaube, dass sich zu wenige Künstler politisch engagieren."

Mit der Wahl eines bekannten TV-Komikers zum Bürgermeister ihrer Hauptstadt haben die Isländer den traditionellen Parteien einen Denkzettel verpasst. Viele Isländer geben der politischen Elite die Schuld an der isländischen Bankenkrise, die den Inselstaat 2008 an den Rand des Staatsbankrottes gebracht hat. Im Windschatten der internationalen Finanzkrise waren praktische über Nacht die drei größten isländischen Banken kollabiert. Erst in letzter Minute konnten Milliardenkredite des Internationalen Währungsfonds und einiger europäischer Länder das Schlimmste verhindern.

Auch zweieinhalb Jahre nach dem Bankencrash sei die Situation für Islands Bevölkerung schwierig, sagt Bürgermeister Jón Gnarr: "Es ist sehr, sehr hart. Die Steuern sind sehr hoch. Islands Schuldenberg ist enorm. Unsere Währung ist nichts wert. Die isländische Krone ist Mickey-Mouse-Geld. Und in dieser Situation müssen wir laufende Fremdwährungskredite abbezahlen", sagt Jón Gnarr, der sich dessen bewusst ist, dass die Katastrophenmeldungen der letzten zweieinhalb Jahre den Aufstieg seiner Protestpartei begünstig haben.

Kunst und Politik

"Wenn es die Krise nicht gegeben hätte, wäre ich nie in die Politik gegangen. Vor der Krise habe ich mich für Politik überhaupt nicht interessiert. Ich war nicht informiert, wusste nicht, wer was gesagt hatte. Aber nach dem Zusammenbruch der Banken, als der isländische Premierminister im Fernsehen Gott anrief, Island zu segnen, dachte ich nur: Was geht hier vor? Irgendetwas läuft völlig schief! Ich dachte nur, vielleicht gehört dieses politische System der Vergangenheit an. Vielleicht ist die Zeit reif, für etwas Neues", sagt Jón Gnarr.

Auch zweieinhalb Jahre nach der Krise herrscht in Islands Staatskassen Ebbe. Die Regierung hat dem Inselstaat ein rigides Sparpaket verordnet. Das bekommt auch Reykjaviks neuer Bürgermeister zu spüren. Gerade im Kulturbereich musste Jón Gnarr in den letzten Monaten den Rotstift ansetzten und Fördergelder und Subventionen empfindlich kürzen:

"Wir versuchen mit der Situation, so realistisch umzugehen wie wir können. Wir mussten die öffentlichen Zuwendungen empfindlich kürzen. Das Budget, das wir in diesem Jahr beschlossen haben, ist sehr rigide. Es gibt viele Kürzungen. Wir haben versucht, den Leuten klarzumachen, dass die finanzielle Situation leider nichts anderes erlaubt. Es gibt viele Dinge, die wir für die Stadt machen möchten, aber wir können es uns nicht leisten. Wir hätten gerne kostenlose Fahrräder für jeden. Das wäre schön! Aber wir sind optimistisch, dass sich die Lage in den nächsten zwei Jahren entspannen wird", sagt Reykjaviks Bürgermeister Jón Gnarr.

Jónn Gnarr ist am 15. und 16. März 2011 zu Gast in Wien. Im Rahmen der Veranstaltungsreihe "Art Goes Government. Rettet Kunst Politik?" diskutiert Gnarr unter anderem mit dem Schriftsteller Ilija Trojanow und dem Theatermacher Hubsi Kramar über das Verhältnis von Kunst und Politik. Am Mittwochabend wird der Dialog mit dem Akkordeon-Virtuosen Otto Lechner fortgesetzt. Veranstaltungsort ist der Kunstverein Aktionsradius Wien am Wiener Gaußplatz.