Tschernobyl-Roman von Hans Platzgumer

Der Elefantenfuß

In seinem Roman "Der Elefantenfuß" lässt der in Innsbruck geborene Musiker und Autor Hans Platzgumer die unterschiedlichsten Protagonisten im evakuierten Gebiet um die Geisterstadt Pripjat aufeinandertreffen. Der Roman, der zum 25. Jahrestag der Tschernobyl-Katastrophe gedacht war, hat durch die jüngsten Ereignisse in Japan gespenstische Aktualität erhalten.

Kulturjournal, 15.03.2011

Ingrid Bertel im Gespräch mit Hans Platzgumer

Es ist eine gespenstische, menschenleere und gottverlassene Gegend. Doch die Todeszone, die um den im April 1986 explodierten Reaktor in Tschernobyl gezogen wurde, zieht wieder Menschen an - Abenteurer, Rückkehrer, Naturforscher, Gottsucher und Plünderer. Platzgumer versteht es ausgezeichnet, die Ausnahmesituation nachzuzeichnen, in der sein (mit einigen Schwarz-Weiß-Fotos aus der Todeszone illustrierter) Roman spielt: fluchtartig verlassene Häuser, über die sich der Staub eines Vierteljahrhunderts gelegt hat, ein Stillstand der Geschichte, in der die Natur von Menschen ungestört ihre Wirkung entfalten kann.

Erste Überraschung bei der Lektüre: Die Radioaktivität ist zumindest stellenweise so stark abgesunken, dass man sich ohne gravierende Schutzmaßnahmen bewegen kann. Zweite Überraschung: Die Todeszone ist nicht bewacht. Weder ein aus der Schweiz angereistes Paar, das ausgerechnet hier Gott besonders nahe zu sein glaubt, noch ein junger österreichischer Biologiestudent, der die Entwicklung der örtlichen Hunde-Population untersuchen möchte, werden von Behörden am Betreten der Sperrzone gehindert.

Zwei Parallelhandlungen

Der im Juni 2011 spielende Roman, der auf zweigeteilten Seiten Parallelhandlungen vorantreibt (was die Lektüre etwas mühsam gestaltet), konfrontiert die fremden Besucher mit örtlicher Bevölkerung. Es sind Überlebende von einst, die ihr ohnedies todgeweihtes Leben in der bekannten Umgebung abschließen wollen, oder marodierende Soldaten, die im Niemandsland eine Freiheit ohne Gesetze und Befehle finden. Oder Wahnsinnige wie der Jogger Alexander, der sich eigenhändig mit einem Akku-Bohrer ein Loch in die Schädeldecke gebohrt hat - zum Ablassen der im eigenen Gehirn angesammelten Schadstoffe.

Platzgumer entwirft ein postapokalyptisches Szenario, in dem er auch manches Hintergrundwissen einfließen lässt. Etwa darüber, wie sehr die Strahlungsopfer von damals zu von ihren Mitmenschen gemiedenen Outcasts wurden. Am Ende wird einer der ausländischen Katastrophentouristen von einem ukrainischen Soldaten aus Spaß erschossen - ohne zu wissen, dass dieser kiloweise Plastiksprengstoff im Rucksack hat.

Durch die Sprengung des "Elefantenfußes", des in Stahlbeton gegossenen strahlenden Materials, hatte er Gottes Werk vollenden wollen - "weil die Menschen nicht aus der Katastrophe lernen wollten". Und nur durch die Laune eines Zufalls wird die Menschheit vor der nächsten Katastrophe bewahrt.

Text: APA, Red.

Service

Hans Platzgumer, "Der Elefantenfuß", mit Fotos aus der Todeszone von Boris Chykulay, Limbus Verlag

Hans Platzgumer