Rufe nach Nachdenkpausen werden laut

USA: Kritische Fragen zur Atompolitik

In den USA werden angesichts des nuklearen Desasters in Japan zunehmend kritische Fragen laut. Auch von Nachdenkpause und Umdenken in der Energiepolitik ist die Rede. Vor allem Kalifornien gilt als Erdbeben-Region. Mit insgesamt 104 Kernkraftwerken betreiben die USA nahezu ein Viertel aller Reaktoren weltweit.

Mittagsjournal, 16.03.2011

Nachdenkpause nach Ölkatastrophe

Ziemlich genau vor einem Jahr hat Präsident Barack Obama bekanntgegeben, dass er nach langer Pause den Ölkonzernen wieder verstärkt Tiefseebohrungen vor der US-Küste gestatten werde. Wenige Wochen später explodiert die Bohrinsel Deep Water Horizon. Die größte Ölpest in der Geschichte der USA führt wiederum zu einer Nachdenkpause.

54 Milliarden für neue AKW

In seinem Budget für das heurige Jahr hat Obama insgesamt 54 Milliarden Dollar vorgesehen, um Bürgschaften für den Bau neuer Atomkraftwerke finanzieren zu können. Nach langen Jahren mit nur wenig neuen Kraftwerksbauten, ein vielbeachteter Schwenk Obamas in der Energiepolitik - und auch der könnte nach den Ereignissen in Japan schon bald wieder überholt sein. Der einflussreiche Senator Joe Lieberman aus Connecticut, selbst ein glühender Befürworter der Atomenergie, ist einer der ersten, der nach einer Nachdenkpause ruft: "Ich will nicht den Bau von Atomkraftwerken beenden, aber wir sollten eine Pause einlegen, bis wir gelernt haben, was in Japan nach dem Beben und dem Tsunami passiert ist."

104 Kernkraftwerke in Betrieb

Drastischer formuliert der Abgeordnete Ed Markey aus Massachusetts: "Es ist eine Botschaft, dass wir uns Richtung, Wind- und Solarenergie und Elektroauto bewegen sollten. Es gibt diese Technologien längst und sie verursachen keine Kernschmelze und kollabieren nicht nach Erdbeben, Hurricanes oder Tsunamis."
104 Kernkraftwerke sind hier in den Vereinigten Staaten in Betrieb. 23 davon sind Siedewasser-Reaktoren, also gleichen Bautyps und Alters wie die von Beben und Tsunami angeschlagenen Kraftwerke in Japan.

Erinnerungen an Three Miles Island

Vielen US-Bürgern sind die Tage während der Probleme im Reaktor Three Miles Island nahe Harrisburg noch in banger Erinnerung. Ende der siebziger Jahre konnte dort eine Kernschmelze nur knapp verhindert werden. Der Film "Das China Syndrom" aus dieser Zeit, in dem ein derartiger Super-GAU thematisiert wird, läuft seit Sonntag immer wieder auf mehreren Fernsehkanälen.

Diskussionen in US-Nachrichtensendern

Auch in allen Nachrichtensendern diskutieren Experten über die Sicherheit amerikanischer Reaktoren. Greg Jatzko, Leiter der Atomregulierungskommission, nimmt vom Weißen Haus aus Stellung: "Wann immer es neue Informationen gibt, beziehen wir sie ein. Derzeit gehe ich davon aus, dass alle Atomkraftwerke in unserem Land sicher arbeiten."

Weißes Haus hält an Energiepolitik fest

Das Signal aus dem Weißen Haus ist klar: An der Atomenergie wird nicht gerüttelt, sagt Dan Poneman, er ist stellvertretender Energieminister: "104 Reaktoren erzeugen 20 Prozent unserer elektrischen Energie, das heißt 70 Prozent unserer klimaneutralen Energie kommt aus Kernkraft. Daher wird die Atomenergie auch in Zukunft große Bedeutung haben," so der Vize-Energieminister.

Demokraten und Republikaner einig

Endlich ein Thema, bei dem die Chefetagen von Demokraten und Republikanern gleicher Meinung sind: Auch Mitch McConnel, der republikanische Mehrheitsführer im Repräsentantenhaus, macht klar, dass seine Partei nichts von Schnellschüssen hält: Er sagt "Nein" zu einer Nachdenkpause beim Bau neuer Atomkraftwerke. Die politische Halbwertszeit dieser Standpunkte wird freilich von den weiteren Entwicklungen in Japan nicht unwesentlich mitbestimmt werden.