Charles Bukowski übersetzen

In memoriam Carl Weissner

"Früher sagte man: Es muss mich vom Hocker reißen! Es genügt aber, wenn es Gänsehaut macht, denn dann passiert etwas im Kopf." Carl Weissner, Schriftsteller und deutscher Übersetzer des legendären Raubeins Charles Bukowski. Am 24. Jänner 2012 starb Carl Weissner im Alter von 71 Jahren in seiner Wohnung in Mannheim.

Carl Weissner, Autor und Übersetzer

"Es ist mein Bestreben, dem Leben ein bisschen unter die Arme zu greifen..."

Die prägende Begegnung mit Bukowski schildert Weissner in seinem erstmals auch auf Deutsch erschienenen Buch "Manhattan Muffdiver". Im Epilog der aberwitzigen, zwischen Fakt und Fiktion wechselnden Geschichte berichtet der Autor vom Begräbnis Charles Bukowskis in Kalifornien, bei dem Weissner 1994 gemeinsam mit dem Schauspieler Sean Penn den Sarg des verstorbenen Literaten trug:

"Sean Penn hat bei seiner Ansprache vermerkt, dass er mit Bukowski öfters trinken war, auch als der Alte schon ziemlich krank war. Und er hat berichtet, dass Bukowski in einer verhältnismäßig stillen Bar plötzlich sein Glas hob und einen Trinkspruch ausbrachte: 'Auf den Tod!' Da verkrampft sich alles in den Trinkern, das sollte man nicht sagen. Er als gelernter Trinker hätte es am ehesten wissen müssen, der hat denen mit diesem Spruch wirklich den Tag versaut!"

Kindheit im Krieg

Carl Weissner, der neben Bukowski auch William S. Burroughs und Bob Dylan übersetzte, gilt als Avantgardist, als Sprach-Zertrümmerer, als Konstrukteur sprachlicher Gegenwelten. Warum er diesen Weg der, wie er es nennt, "widerständigen Kunst" einschlug, weiß der 1940 Geborene genau: Seine Eltern seien gemeinsam mit Tausenden anderen "die Basis des Naziregimes" gewesen, auch wenn sie nur sogenannte "Mitläufer" waren, erinnert sich Weissner:

"Mein Vater ist für 500 Reichsmark mit einem Wisch als 'Mitläufer' davongekommen und durfte dann halt wieder Beamter sein, bei anderen war die Sache komplizierter. Aber alle hatten im Krieg zum Beispiel aus 40 Kilometer Entfernung belgische Dörfer beschossen, die sahen gar nicht, was sie anrichteten, sondern haben dort halt Leben vernichtet. Und alle hatten die damalige Auffassung über Kindererziehung, so wie sie sie eben erlebt hatten, bruchlos übernommen."

Und dann kam Bebop

Kurz nach Kriegsende wurden die meisten Häuser in Weissners Wohnstraße von Amerikanern okkupiert, ins Nachbarhaus war ein schwarzer Sergeant mit Familie eingezogen; der fremde Lebensstil erregte die Aufmerksamkeit des deutschen Knaben:

"Ich hab zwar kein Wort verstanden, man hat sich mit Zeichensprache verständigt, aber aus dem Haus dröhnte die allerneueste Jazzmusik, nämlich Bepop, und das war ein gewaltiger Schnitt gegenüber der Militärmusik, die ich unter den Nazis genossen hatte. Das war faszinierend, und man merkte auch den kleinen Kindern an, dass sie anders aufgewachsen waren als ich in einer Diktatur. Es war also auch als Kind leicht mitzukriegen, dass die wahrscheinlich die bessere Lebenseinstellung hatten, sonst hätten sie ja außerdem nicht den Krieg gewonnen. Außerdem hatten sie gnadenlos guten Kaugummi und brillantes Schokoladeneis."

Spielerischer Umgang mit der englischen Sprache

Im Gebrauch der englischen Sprache sah Weissner eine Abgrenzungsmöglichkeit vom Elternhaus und Aufbruchsmöglichkeiten in ein völlig anderes Leben. Nach einem Anglistik-Studium ging er nach Amerika und lernte dort die Beat-Literaten kennen.

Die Bekanntschaft etwa mit dem Dichter William S. Burroughs bezeichnet Weissner als noch folgenschwerer als die Freundschaft mit Bukowski, da Burroughs ihm den Gebrauch der englischen Sprache spielerisch erleichterte: fremde Textpassagen wurden - ungefragt, jedoch unter Quellenangabe - in eigene Textstellen eingebaut, um ein völlig neues Sprachbild zu schaffen. Diese Methode gilt heute noch als avantgardistisch, bezieht sich aber auf eine uralte Tradition, erklärt Weissner:

"Im 7. Jahrhundert wurden in der höfischen Gesellschaft von Japan sogenannte Kettengedichte angefertigt: Einer hat eine Zeile geschrieben, dann wurde das Reispapier umgefaltet und weitergegeben, der nächste hat zwei Zeilen dazugeschrieben. Das war konstruktiver Umgang mit dem Zufall!"

Literatur, vom Leben gespeist

Schräg, schwarzhumorig, direkt, aber nie derb. Obszön, aber genial - so wird das jüngste Buch von Carl Weissner, "Manhattan Muffdiver", von Kritikern gelobt. Weissner schildert darin aberwitzige Abenteuer-Szenen aus dem Großstadtghetto.

Alkohol, Drogen und amouröse Exzesse - der wilden Lebensweise, die Bukowski und auch die Beatnik-Gemeinde pflegte, passte sich Carl Weissner nur bedingt an: Ausschweifungen jeglicher Art betrachtet er als Anregung für neue Fiktionen, denn seine Literatur sei vom Leben gespeist, jedoch durch Fantasie verfeinert. Niemals würde er sich, so Weissner, für Literatur hergeben, die den umgekehrten Weg geht und ein leeres Leben noch leerer erscheinen lässt:

"Es ist mein Bestreben, dem Leben ein bisschen unter die Arme zu greifen, es interessanter zu machen, als es ist. Das ist anders als in der Bundesrepublik, wo man 400.000 Bücher verkaufen kann, indem man den Lesern nacherzählt, wie die Leser selber sind: Ein Ehepaar, das sich auseinandergelebt hat, fährt in den Süden und wartet, dass sich etwas ändert. Es passiert aber nichts. 500 Seiten lang. Das wird gern gelesen, weil Leser dann das Gefühl haben, kunstfähig zu sein, literaturfähig. Nicht für Geld und gute Worte würde ich denen nach dem Mund schreiben. Da hat der Schriftsteller den Beruf verfehlt, wenn er das macht."

Service

Carl Weissner, "Manhattan Muffdiver", Milena Verlag

Milena - Carl Weissner