Theater-Festival in München

radikal jung

Das erfolgreiche Theaterfestival für Nachwuchsregisseure, radikal jung, geht in die nächste Runde. Bis zum 16. April präsentieren zehn junge Theatermacher ihre Werke. Auf dem Programm stehen unter anderem Arbeiten aus Brüssel, London und Belgrad sowie eine österreichische Produktion.

Kulturjournal, 13.04.2011

Fatme trägt ein Kopftuch - aus modischen Gründen, Mariam aber findet das nicht in Ordnung. Mariam tönt selbstbewusst, aber nur solange "baba", ihr Vater, nicht in der Nähe ist. Der ist streng und gewalttätig. Von den Berliner Jugendlichen Fatme, ihrer Schwester Mariam und deren Freundin Lena, von einer geschwätzig-liberalen deutschen und einer repressiven muslimischen Familie erzählt Güner Balcis Roman "Arabqueen oder Das andere Leben", das Nicole Oder für die Berliner Theatertruppe "Heimathafen Neukölln" dramatisiert und inszeniert hat.

"Was ich am Theater sehr mag, dass man mit unglaublich wenig unglaublich viel erzählen kann", sagt Nicole Oder. "Zum Beispiel bei 'Arabqueen', das sind drei Schauspielerinnen, die spielen 17 Rollen an zwölf verschiedenen Orten, die eigentlich immer aus winzig kleinen Dingen entstehen. (...) Das finde ich zum einen sehr theatral, das ist die Grundessenz des Theaters, zum anderen finde ich es immer schön zu sehen, wie gut das funktioniert, auch bei Schulvorstellungen."

Mit "Arabqueen", einer kleinen, flotten, von viel Spielwitz und Phantasie getragenen Produktion wurde am vergangenen Wochenende "radikal jung" eröffnet, das "Festival junger Regisseure" im Münchner Volkstheater.

Erstmals auch fremdsprachige Beiträge

"Es ist im siebten Jahr das erste Mal, dass Beiträge außerhalb des deutschen Sprachraums eingeladen sind. Wir hatten die Pläne schon lang. Es gab immer die Idee, wir müssen es eigentlich europäisch machen", sagt Kilian Engels, Dramaturg des Münchner Volkstheaters und Leiter des Festivals, das dieses Jahr zum ersten Mal auch fremdsprachige Aufführungen präsentiert: aus Brüssel Fabrice Murgias "Life: Reset" über den monotonen Alltag einer jungen Frau, die in die virtuelle Welt des Cyberspace entflieht; aus London Caroline Steinbeis' "Fatherland", das das Tabu einer Vater-Tochter-Beziehung beleuchtet; aus Belgrad Milos Lolics "Gott ist ein DJ" von Falk Richter, das vom Leben als Performance handelt und vom Verschwimmen der Grenzen zwischen Realität und Fiktion.

"Milos Lolic, Jahrgang 1977, serbischer Regisseur - der liest dieses Falk-Richter-Stück mit der 90er-Jahre-Schock-Ästhetik natürlich anders als jemand, der sowas nur aus dem Fernsehen kennt", so Engels.

Flexibler im Off-Theater?

Aus Wien kam Bastian Krafts Burgtheater-Dorian-Gray über einen Dandy im Dialog mit einer Videowand, aus Zürich die farblose Max-Frisch-Adaption "Stiller" von Heike M. Goetze, aus Frankfurt der durchgeknallte, nackt tobende "Peer Gynt" von Shootingstar Antú Romero Nunes. Und aus Berlin: zwei Stücke aus dem Off-Theater-Bereich.

"Man hat das Gefühl, dass die in vielleicht flexibleren Produktionsformen Sachen machen können, wo die Stadttheater vielleicht zu schwerfällig sind", meint Engels. "Wenn man da drinsitzt, dann bekommt man wieder ein Gefühl dafür, was Theater bedeuten kann, welche Wichtigkeit es haben kann."

Stück über Integration

Der Deutsch-Unterricht einer überforderten Lehrerin wird von einer Bande halbstarker türkischstämmiger Schüler sabotiert - bis ihr eine Waffe in die Hand fällt. Mit vorgehaltener Pistole schreit sie sich den Frust von der Seele, zieht über Klischees und Beleidigungen her und erzwingt eine Friedrich-Schiller-Theater-Lektion. "Verrücktes Blut" heißt das spannende Klassenzimmer-Drama von Jens Hillje und Nurkan Erpulat.

"Das ist eine Ästhetik, die erstmal sehr auf Schauspieler konzentriert ist, sehr aus dem Minimalen herausgeht. Die Beziehungen zwischen Schauspielern - da versuche ich zuzuspitzen, statt viel Schnickschnack und viel Kunstkacke zu machen. Das mache ich nicht." "Verrücktes Blut" ist ein turbulentes Stück über Integration, Identität und "ästhetische Erziehung" - inszeniert von dem aus der Türkei stammenden Nurkan Erpulat für das "Ballhaus Naunynstraße", ein kleines Theater in Berlin Kreuzberg. "Ballhaus definiert sich so: ein Theater mit postmigrantischen Themen. Ich verstehe Theater siowieso inhaltlich politisch", sagt Erpulat.

Mit "Verrücktes Blut" ist Nurkan Erpulat ein Publikumshit gelungen, die - zu Recht - am meisten beklatschte Aufführung des Festivals, die auch zum Berliner Theatertreffen eingeladen ist. Theater - unmittelbar, direkt und vital, unterhaltsam und zugleich zum Nachdenken anregend. Erpulat wie seine Berliner Kollegin Nicole Oder sind der Beweis, dass das lebendigste Theater nicht immer das ist mit der besten Adresse oder der stolzesten Tradition. Zurzeit findet man es eher im jungen "Ballhaus Naunynstraße" oder im "Heimathafen Neukölln".

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Münchner Volkstheater - radikal jung