Freud und die künstliche Intelligenz
Roboter mit Psyche
Ein Computer, der über sich selbst und seine Handlungen nachdenken kann, das scheint eine weit entfernte Zukunftsvision zu sein. Wiener Forscher arbeiten mit Psychoanalytikern an einem Künstliche-Intelligenz-Modell, das auf Sigmund Freuds Vorstellung von der menschlichen Psyche zurückgreift.
8. April 2017, 21:58
Roboter und Maschinen, die von intelligenter Software gesteuert werden, sind aus unserem Alltag kaum mehr wegzudenken.
Supercomputer wie etwa IBMs Watson, der in der Fernsehquizshow Jeopardy seine menschlichen Konkurrenten weit hinter sich ließ, oder Autos, die sich autonom im Straßenverkehr bewegen und untereinander kommunizieren können, sind nur zwei Beispiele dafür, wie weit die Entwicklung künstlicher Intelligenz fortgeschritten ist.
Mit den kognitiven Fähigkeiten des Menschen kann es die Künstliche Intelligenz dennoch nicht aufnehmen. Die Fähigkeit des Menschen zu abstrahieren, also wichtige von unwichtigen Wahrnehmungen zu trennen und bereits gespeicherte Informationen und Muster auf neue Situationen zu übertragen ist bisher unübertroffen. Auch Emotionen erleichtern es dem Menschen, in unvorhergesehenen Situationen, rasch Entscheidungen zu treffen.
Simulating the Mind
Eine Forschergruppe des Institutes of Computer Technology der TU Wien rund um Institutsvorstand Dietmar Dietrich hat sich deshalb zum Ziel gesetzt, ein Computermodell des menschlichen Geistes zu schaffen. Gemeinsam mit Psychoanalytikern versuchen sie, Sigmund Freuds Modell der Psyche in eine Software zu verpacken.
Der Vorteil von Freuds Modell sei, dass Freud das Zusammenspiel des menschlichen Geistes mit dem Körper sehr genau beschrieben habe, so die Psychoanalytikerin und Neuropsychologin Zsofia Kovacs. Ausgestattet mit bewussten und unbewussten Vorgängen, soll die Software in der Lage sein, so wie auch der Mensch, riesige Mengen an Sensorinformationen intelligent zu verarbeiten.
Erprobt wurde das Modell bereits bei der Überwachung des Flughafens Krakau. Im Rahmen des von der EU geförderten Projekts "Sense" entwickelten die Forscher ein System, das gefährliches und ungewöhnliches Verhalten selbstständig erkennen kann. Grundsätzlich anwendbar sei das Modell für alle Arten der Automatisierungstechnik, meint Dietmar Bruckner, Leiter der cognitive Information Group des ICT.
Lust auf Geschirrspülen und Putzen
Ein wichtiger Unterschied zu bisherigen Robotern ist, dass die Roboter der Wiener Forscher ihre Aufgaben aus eigenem Antrieb durchführen sollen. Dem Freudschen "Lustprinzip" folgend, das auch uns Menschen antreibt, soll die jeweilige Aufgabe für den Roboter einen Lustgewinn darstellen.
In der Praxis könnte das so aussehen, dass ein Haushaltsroboter ohne Anweisungen zu bekommen bewusst und mit Lust den Besen schwingen will. Auch der Selbsterhaltungstrieb soll modelliert werden, damit der Roboter eigenständig seine Systeme wie Hydraulik oder Elektronik warten lässt.
Risikofaktor Maschine?
Doch wie zuverlässig sind Roboter, die genauso denken und handeln wie Menschen mit all ihren Fehlleistungen. Stellen Roboter mit Psyche nicht ein größeres Risiko als ihre seelenlosen Artgenossen dar? Für Zsofia Kovacs handelt es sich dabei um einen Irrglauben. Denn bisher ist kein Roboter in der Lage, so flexibel auf unvorhergesehene Ereignisse reagieren wie der Mensch. Um Risiken zu minimieren, könnten außerdem einzelne Funktionen der Psyche je nach Einsatzgebiet deaktiviert werden.
Psychoanalytischer Experimentierkasten
Profitieren soll allerdings nicht nur die Robotik. Auch die Psychoanalyse erwartet sich durch dieses Projekt einen Erkenntnisgewinn: So könnte Freuds Theorie anhand des Modells bewiesen werden. Aber auch neurologische Krankheitsbilder und die Entwicklungsphasen des Menschen könnten modelliert werden.
Zur Zeit steht die Forschergruppe jedoch vor der Aufgabe, einen gesunden, 30- jährigen Erwachsenen mit einer entsprechenden Lebensgeschichte nachzubilden. Was die Persönlichkeit des Menschen ausmacht, sind Erinnerungen. Um dem Roboter also eine Biographie zu geben, müssen ihm also Erfahrungen aus 30 Lebensjahren einprogrammiert werden – eine denkbar schwierige Angelegenheit. Es kann somit auch gezielt in die Charakterentwicklung des Roboters eingegriffen werden. Wie manipulationsanfällig ist ein solches System also?
Wenn auch nicht anstrebenswert, möglich wäre es schon, die Psyche des Roboters entgegen den kulturellen und moralischen Normen unserer Gesellschaft zu verändern - sehr einfach ließe sich nämlich sein Gewissen ausschalten. Auch psychische Störungen wären denkbar, so Zsofia Kovacs. Als Gegenmittel bleibe dem Roboter dann wohl nur mehr Freuds Couch.