Sam Kean im Reich der Elemente

Die Ordnung der Dinge

Der US-amerikanische Wissenschaftsautor Sam Kean ist der erste, der's zugibt: Für viele zählt das Periodensystem zu den Alpträumen der Gymnasialzeit: 118 Elemente sind es mittlerweile. Jedes hat ein Kästchen für sich und eine Ordnungszahl, die sich auf die Anzahl der Protonen bezieht.

Doch was für die meisten optisch wie ein langweiliger Kreuzworträtsel-Raster aussieht, hat für Sam Kean die faszinierende Gestalt einer Burg, mit einem Türmchen links und einer respektablen Befestigung rechts. Wie ein begabter Fremdenführer geleitet er den Leser mit einer Mischung aus Anekdoten, Schnurren und Fakten durch die Geheimnisse der Burg, - vom Türmchen mit Wasserstoff hinunter zu den Tiefen des Korridors der Giftmörder mit Blei, Thallium und Polonium.

Dank dem Fieberthermometer

Sam Kean denkt gerne an seine Kindheit zurück. Zu den angenehmen Erinnerungen zählen jedoch nicht nur - wie man meinen würde - Spiele und Streiche, sondern: schlimme Halsentzündungen. Daran litt er im Alter von acht Jahren besonders häufig.

"Meine Mutter steckte mir dann ein Fieberthermometer in den Mund", erzählt Sam Kean. "Doch irgendwie fiel es mir immer heraus und zerbrach am Boden. Das hat mir sehr gefallen, wie die kleinen Kügelchen herumgerollt sind. Quecksilber war für mich damals die faszinierendste Substanz auf der Welt. Meine Mutter hat die Kügelchen immer eingesammelt und in einem Fläschchen aufbewahrt."

Mit Quecksilber begann Sam Keans Interesse an der Chemie und in der Folge am Periodensystem. Wissenschaft interessierte den Autor immer dann am meisten, wenn sie mit spannenden Geschichten verknüpft war. Und so entstand auch die Idee zu dem Buch "Die Ordnung der Dinge", denn das Periodensystem steckt voller Anekdoten von schrulligen Wissenschaftlern und - nach heutigem Begriff - befremdlichen Verwendungen der Elemente.

Quecksilber in der Reiseapotheke

Um bei Quecksilber zu bleiben: Ärzte des 17. und 18. Jahrhunderts verschrieben es gerne als Abführmittel. Die prominenten Erforscher Meriwether Lewis und William Clark, die im Auftrag des damaligen Präsidenten Thomas Jefferson den amerikanischen Westen bis zum Pazifik erforschten, führten Quecksilber in ihrer Reiseapotheke mit.

"Quecksilber bringt tatsächlich Krankheitserreger um", so Kean. "Bedauerlicherweise gehen dabei auch körpereigene Zellen drauf. Es hat als heilsam gegolten, weil man dachte, der Körper wird auf diese Weise durchgespült. Lewis und Clark führten also Quecksilberpillen unter dem Handelsnamen "Dr. Rush's Bilious Pills" mit. Jede Pille war etwa vier Mal so groß wie ein Aspirin. Nach dem Verzehr einer unbekömmlichen Pflanze oder von verseuchtem Wasser schluckten sie eine Pille und bekamen Durchfall."

Historiker und Archäologen sind übrigens nachträglich recht dankbar, dass es einst Dr. Rush's Bilious Pills gegeben hat. In ihren Tagebüchern beschrieben Lewis und Clark, wo sie auf ihrer Reise durch die Wildnis ihre Lager aufgeschlagen haben. Dank dieser Pillen lassen sich diese Angaben überprüfen. Dort, wo Lewis und Clark ihr Lager aufgeschlagen haben, sind auch heute noch in Bodenproben unnatürlich hohe Quecksilberkonzentration zu finden.

Element mit schlechtem Ruf

Schillernde Anekdoten ranken sich auch um ein anderes Gift: Arsen. Diesem Element widmete sich der deutsche Chemiker Robert Bunsen. Nach ihm ist übrigens der Bunsenbrenner benannt. Diesen hat er zwar nicht erfunden, jedoch wesentlich in seiner Konstruktion verbessert.

Täuschung mit Gallium

Zwar nicht so giftig wie Arsen, aber wohl kaum zum Verzehr zu empfehlen, ist Gallium. Es sieht Aluminium zum Verwechseln ähnlich, unterscheidet sich jedoch davon in einer wesentlichen Eigenschaft: Es schmilzt bei niedrigen Temperaturen. Wenn man es in der Hand hält, wird es weich und formbar. Und darauf bezieht sich auch der englische Originaltitel des Buches von Sam Kean, "The Disappearing Spoon".

"Der sich auflösende Löffel ist ein klassischer Streich, den Naturwissenschaftler gerne spielen", sagt Kean. "Man formt einen Löffel aus Gallium. Dann serviert man dem Opfer, dem man den Streich spielt, eine Tasse heißen Tee oder Kaffee. Dazu legt man den Löffel, der auf den ersten Blick aussieht, als wäre er aus ganz gewöhnlichem Aluminium. Das Opfer weiß natürlich, dass hier etwas nicht stimmt, wenn sich der in die heiße Flüssigkeit getauchte Teil des Löffels vor seinen Augen auflöst."

Wie es aussieht, wenn sich ein Löffel einfach auflöst, kann man sich übrigens auf einem YouTube-Video anschauen. Sam Kean empfiehlt, den Satz Gallium am Boden der Kaffeetasse sicherheitshalber lieber nicht zu trinken.

Wertvoller als Gold: Aluminium

Ein Kästchen höher im Periodensystem ist das Element, das Gallium so ähnlich sieht, nämlich Aluminium. Dieses hat eine wahrlich grandiose Vergangenheit. Vor 150 Jahren galt es als das kostbarste der Edelmetalle. Der europäische Hochadel war ganz verrückt danach.

"Napoleon III. von Frankreich war stolz, dass er ein Aluminiumbesteck besaß", so Kean. "Damit durften nur die allerhöchsten Gäste speisen. Der übrige Adel musste sich mit Messer und Gabel aus Gold begnügen. Außerdem ließ er Aluminium wie Gold in Barren gießen und platzierte diese neben den Kronjuwelen."

Auch in den Vereinigten Staaten wollte man nicht nachstehen. Eines der berühmtesten Wahrzeichen der Hauptstadt, das Washington-Denkmal, hat auf der Spitze eine Aluminiumpyramide. Damit wollte die junge Nation demonstrieren: Seht mal, wir sind so reich, dass wir sogar unsere öffentlichen Denkmäler mit Aluminium schmücken.

Die überzogene Wertschätzung kam so zustande: Aluminium kommt nie in reiner Form vor. Von Wissenschaftlern unter Mühe hergestellte Proben von reinem Aluminium wurden daher damals als Wunder bestaunt. Nach der erfolgreichen Entwicklung eines industriellen Verfahrens fielen die Preise freilich in den Keller - und die gute Gesellschaft griff wieder zum Goldbesteck.

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Sam Kean, "Die Ordnung der Dinge. Im Reich der Elemente", Hoffmann & Campe

Hoffmann & Campe - Die Ordnung der Dinge