Eine deutsche Geschichtsstunde

Joschka und Herr Fischer

"Joschka und Herr Fischer" nennt der deutsche Regisseur Pepe Danquart seinen neuen Film, in dem der ehemalige deutsche Grün-Politiker und Außenminister sein Leben filmisch vorbeiziehen lässt. Entstanden ist weniger eine Biografie als ein Stück Zeitgeschichte.

Kultur aktuell, 14.06.2011

Die weißen Turnschuhe zur Angelobung als hessischer Umweltminister 1985 hängen Joschka Fischer noch immer nach, ein Symbol für Unangepasstheit und Widerstand. Doch dann hat es der damalige Neo-Politiker mit den aus heutiger Sicht aufschlussreichen Mühlen des Regierens zu tun bekommen.

"Ich habe alles falsch gemacht, was man falsch machen kann. Alles. Weil ich von nichts eine Ahnung hatte", so Fischer. "Ich wusste nicht, wie man regiert, ich hatte von den Inhalten keine Ahnung, ich hatte von der Administration keine Ahnung."

Straßenkämpfer und Taxifahrer

Wenn man eine Vita bunt nennen will, jene von Joschka Fischer ist es. Der Schulabbrecher war Gasthörer an der Frankfurter Universität bei Horkheimer und Adorno, Mitglied des linksmilitanten Netzwerks "Revolutionäre Zellen" und Straßenkämpfer ("sechs Wochen ohne Bewährung - sowas radikalisiert"), schließlich Arbeiter bei Opel in Rüsselsheim, Buchhändler und Taxifahrer.

"Im Taxi bin ich zum Realo geworden. Ich habe mitbekommen, dass das Großartige und Hundsgemeine in jedem Menschen ganz eng beieinander liegt", sagt Fischer. Später dann wird Fischer Bundestagsabgeordneter, Vizekanzler und deutscher Außenminister.

Ausführliche Geschichtsstunde

Regisseur Pepe Danquart nutzt diesen Lebensweg als Leitlinie für eine recht ausführliche Geschichtsstunde: Wirtschaftswunder, 1968, RAF, das Entstehen der Anti-Atomkraft-Bewegung und der Grünen, Fundis gegen Realos, Mauerfall und der Krieg am Balkan.

"Das ist ja kein Biopic im eigentlichen Sinne", so der Regisseur, "sondern er ist für mich die Grundlage, eine Zeitreise anzutreten durch 60 Jahre Deutschland. Ich wollte, dass man die Emotion der einzelnen Jahrzehnte physisch miterlebt und nicht nur betrachtet."

Ironisch und kämpferisch

Fischer kommentiert Originalfilmdokumente, jovial im Ton, mal ironisch, mal kämpferisch, dann wieder nachdenklich und abgeklärt. Dieser Mann ist weit weg von der Politik. Dazwischen Interviews mit ehemaligen Mitstreitern und Gleichgesinnten wie Daniel Cohn-Bendit. Widerspruch gibt es kaum, am meisten noch, wenn Fischer seine eigenen zum Besten gibt.


Aus der ideologischen Stoßrichtung des Films macht Danquart kein Geheimnis: "Dieser ganze Objektivitätsbegriff ist ja ein überkommener. Ich hab ja schon immer diese Entscheidung getroffen bei meinen Filmen: Ich stehe auf einer Seite der Barrikade. Das war eine klare politische und filmische Haltung, an der sich dann beim Sehen der Zuschauer seine eigene Haltung und seine eigene Meinung bildet."

Trotz mangelnder Distanz bleibt immer noch ein recht kurzweiliger und spannender Geschichtsunterricht übrig. Völlig ausgeblendet hat Danquart aber Fischers gegenwärtige Beratertätigkeiten, etwa für den deutschen Energiekonzern und Kernkraftwerksbetreiber RWE. Der Herr Fischer ist eben kein Joschka mehr.

Textfassung: Rainer Elstner