Ungezügelter Leidenschaft und die Folgen

Sehnsucht nach einem anderen Leben

In Hollywood würde man das, was sich im italienischen Film "Was will ich mehr?" abspielt, eine verhängnisvolle Affäre nennen. Doch Regisseur Silvio Soldini ist weniger an den spektakulärer Beziehungsakrobatik mit fatalen Folgen interessiert, als vielmehr an den Alltagsschwierigkeiten ungezügelter Leidenschaft.

Mittagsjournal, 12.07.2011

Körperliche Anziehung

Eigentlich ist es eine Geschichte, wie sie täglich passieren kann. Eine Frau trifft zufällig einen Mann, sofort besteht eine unwiderstehliche, gegenseitige, vor allem körperliche Anziehung, eine plötzliche Leidenschaft, der man sich nicht entziehen kann. Anna (Alba Rohrwacher) und Domenico (Pierfrancesco Favino) sind so ein Fall.

Natürlich sind es die Umstände, die alles kompliziert machen. Domenico ist verheiratet und hat zwei Kinder, Anna fix liiert.

Wahrheiten und Enttäuschungen

Nahe am Alltag und am Leben dran zeigt Regisseur Silvio Soldini die quälenden Momente dieser Leidenschaft, das Warten auf eine SMS oder einen Anruf, die kleinen Lügen, die immer größer werden müssen, die innere Unruhe, letztlich die bitteren Wahrheiten und Enttäuschungen.

Trotzdem sieht Soldini vor allem die positiven Seiten einer derartigen Affäre: "Auch wenn so eine Sache anderen Menschen Leid zufügt, kann sie eine große Bereicherung im Leben sein, vor allem, weil man die eigene Lebenssituation reflektieren und sich damit letztlich auch selbst besser verstehen kann. Es sind Momente, denen man sich nicht entziehen sollte."

Keine moralischen Schuldzuweisungen

Silvio Soldini erweist sich als genauer Beobachter der gesellschaftlichen Umstände. Das Leben seiner Mailänder Durchschnittsexistenzen ist wie eine Baustelle, an der kontinuierlich gearbeitet wird, das Baumaterial sind Erwartungen, Konventionen, und Rituale, vor allem auch ein familiärer Druck, der Lebensbahnen und damit auch ein hohes Maß an Unfreiheit vorgibt.

Soldini macht Zwangssituationen und ihre Folgen transparent, vermeidet aber, wie er selbst meint, "einfache Rollenmuster von gut und böse oder moralische Schuldzuweisungen". Dem Bemühen um ein geregeltes Leben steht hier die Sehnsucht nach einem Abenteuer gegenüber, in der die verborgenen Leidenschaften jenseits der Vernunft ihr Recht einfordern. "Was will ich mehr?" - der in Frageform gehaltene Filmtitel erhält so auf dramatische aber auch einfühlsame Weise Antworten.