Experte: "Haftbefehl ist zu vollstrecken"

Litauen schwer verstimmt

Immer größere Wellen schlägt die Affäre um einen Ex-KGB-Offizier, der von Litauen per EU-Haftbefehl gesucht, von Österreich aber freigelassen wurde. Litauen hat aus Protest seinen Botschafter in Österreich nach Vilnius zurückgerufen. In der rechtlichen Debatte widerspricht ein Experte der Regierung.

Mittagsjournal, 18.07.2011

Diplomatische Vergeltung

Zwischen Österreich und Litauen sind die diplomatischen Beziehungen in den vergangenen Tagen sehr rasch abgekühlt. Dafür sorgte der Umstand, dass in Wien ein ehemaliger Offizier des russischen KGB verhaftet, kurz darauf aber wieder freigelassen wurde. Litauen sucht diesen Mann seit Jahren mit einem Europäischen Haftbefehl, weil er an einem Blutvergießen im Jahr 1991 in Litauen beteiligt gewesen sein soll. Österreich waren die Informationen im Haftbefehl aber zu vage, jetzt schießt Litauen mit diplomatischen Mitteln zurück.

Abberufung und Protestnote

Litauens Botschafter in Wien wurde zu Konsultationen nach Hause beordert. Das ist die zweitschärfste diplomatische Sanktion, die es gibt, schlimmer wäre nur ein Abbruch der diplomatischen Beziehungen. Schon daran sieht man, wie schwer die Angelegenheit für Litauen wiegt. Der österreichische Botschafter in Vilnius bekommt übrigens heute eine Protestnote überreicht.

Blutige Kämpfe um Fernsehturm

Für Litauen geht es dabei um die Aufarbeitung der eigenen jüngeren Geschichte, konkret des "Blutsonntags", der eine Folge der eigenen Unabhängigkeitserklärung war, die die damalige Sowjetunion nicht anerkennen wollte. Im Jänner 1991 hatte es deshalb Kämpfe um den Fernsehturm in Vilnius gegeben, 14 Menschen wurden getötet. An den Kämpfen war eine Sondereinheit beteiligt, die unter dem Befehl des Ex-KGB-Offiziers stand. Der wurde seit dem 18. Oktober 2010 mit einem europäischen Haftbefehl gesucht.

Spindelegger: "Frist verstrichen"

Am vergangenen Donnerstag wurde der Ex-KGB-Offizier deshalb auf dem Flughafen in Wien-Schwechat angehalten. Was dann passierte, schildert Außenminister Michael Spindelegger (ÖVP) heute vor einem EU-Ministertreffen so: "Es gab ein Ansuchen aus Litauen, wir haben da eine Frist gesetzt, wo die Unterlagen mit ganz konkreten Angaben geliefert werden sollten. Diese Frist ist verstrichen, ohne dass die Angaben konkret waren. Daraufhin hat die Staatsanwaltschaft entschieden, keinen Haftantrag zu stellen. Das ist zur Kenntnis zu nehmen."

Experte: "Haftbefehl ist zu vollstrecken"

Walter Obwexer, Experte für Europarecht an der Universität Innsbruck, sagt zum Grundsatz des Europäischen Haftbefehls: "Wenn ein EU-Mitgliedsstaat einen solchen Haftbefehl, für den es ein eigenes Formblatt gibt, ausstellt, muss ihn ein anderer Mitgliedsstaat auch vollstrecken." Beweise für eine Straftat, die einer Person angelastet werden, muss ein Staat nicht erbringen, wenn ein europäischer Haftbefehl ausgestellt wird, der Auslieferungsverfahren ja erleichtern soll: "Der Europäische Haftbefehl muss von einer zuständigen Justizbehörde ausgestellt worden sein. Die Beweise und Indizien, die gegen eine Person vorliegen, müssen nicht auch mitgeliefert werden", so Obwexer.

Ministerium rechtfertigt sich

Das Justizministerium, das rechtlich zuständig ist und ja auch eingeschaltet war, beruft sich in seiner negativen Entscheidung auf zwei Dinge: Erstens sollen die Straftaten laut Haftbefehl 1991 begangen worden sein - lange bevor der Europäische Haftbefehl beschlossen wurde. Daher sind die jetzigen Regeln nicht anzuwenden, sondern jene, die damals - also 1991 - gegolten haben. Zweitens seien die Vorwürfe gegen den ehemaligen KGB-Offizier nicht ausreichend individualisiert gewesen - wer also was konkret wem angetan haben soll. Daher habe man in Litauen weitere Informationen innerhalb einer Frist einholen wollen, bekam aber keine Antwort. Deshalb durfte der Mann nach Auffassung des Justizministeriums auch nicht länger festgehalten werden. Rechtlich, sagte Außenminister Spindelegger heute, sei das Problem erledigt - faktisch ist es das ohnedies. Diplomatisch hat das Nachspiel samt harscher Kritik aus Litauen gerade erst begonnen.