Frauen sehen Grundrecht missachtet

Belgien: Klage gegen Burka-Verbot

Das neue Burka-Verbot in Belgien könnte schon im Herbst kippen. Betroffene Frauen haben eine Sammelklage beim belgischen Verfassungsgerichtshof eingebracht, weil sie ihre Grundrechte missachtet sehen. Das Gesetz ist erst vor einer Woche in Kraft getreten.

Mittagsjournal, 30.07.2011

Tiefgläubig in Angst

Seit einer Woche traut sich Selema kaum noch aus dem Haus. Denn die 33 Jahre alte tiefgläubige Muslimin besteht darauf, ihren Sittar zu tragen. Das ist ein Ganzkörperschleier, nur selten blitzen ihre Augen durch das schwarze Tuch, das ihr gesamtes Gesicht verhüllt. Zeigt sich Selema damit auf der Straße, bricht sie das Gesetz: "Beim Rausgehen muss ich jetzt aufpassen, ich gebe zu, dass ich beunruhigt bin. Das ist doch nicht normal - ich bin eine freie belgische Bürgerin und werde plötzlich wie eine Verbrecherin behandelt."

Verkleidung erlaubt

Belgien ist nach Frankreich das zweite Land in Europa, in dem ein Burka-Verbot gilt. Im Gesetzestext selbst findet sich das Wort Burka, Niquab oder Sittar freilich nicht, dennoch haben die belgischen Parlamentarier quer durch alle Fraktionen keinen Zweifel daran gelassen, für wen dieses Verbot gilt. Zumal Arbeits-Schutzhelme, Motorradhelme und auch Faschingsverkleidungen trotz Vermummungsverbots ausdrücklich erlaubt bleiben.

"Niemand darf mich zwingen"

Das häufigste Argument der Fürsprecher war der Schutz von Frauen vor Unterdrückung. Doch eben Selema erweckt keineswegs den Eindruck einer eingeschüchterten Frau: "Ich war immer sehr unabhängig, jetzt kann ich nicht einmal mehr mit meinen Freundinnen essen gehen, oder einkaufen - oder einfach nur zur Kosmetikerin. Vor 13 Jahren habe ich entschieden, mich vollständig zu verhüllen. Meinem Mann habe ich damals gar nicht gefragt. Niemand konnte mich zwingen, den Vollschleier zu tragen. Darum darf mich auch niemand zwingen, ihn abzulegen."

Immer mehr wollen klagen

Darum hat sich Selema an Ines Wouter gewandt. Die Rechtsanwältin vertritt bereits zwei weitere Musliminen und es werden täglich mehr. Die Frauen wollen das Burka-Verbot kippen - denn es verletze in mehrerlei Hinsicht die Grundrechte, so Wouter: "Das Gesetz beeinträchtigt massiv die Religionsfreiheit, die Bewegungsfreiheit, aber auch das Privatleben dieser Frauen wird stark eingeschränkt und ihre Würde verletzt. Außerdem gilt das Gebot der Nichtdiskriminierung." Bis zu 30 Frauen, aber auch Nichtregierungs-Organisationen könnten sich der Sammelklage anschließen.

Schon im September erwartet sich Rechtsanwältin Wouter eine erste Entscheidung des belgischen Verfassungsgerichtshofes: "Wir machen das natürlich nur, weil wir uns solide Gewinnchancen ausrechnen. Immerhin müssen unsere Gesetze hier erstens verfassungskonform sein und außerdem den europäischen Grundrechten entsprechen. Und genau das wollen wir überprüft wissen."

Strafdrohung

Bis zur möglichen Aufhebung des Burka-Verbots durch den Verfassungsgerichtshof müssen die betroffenen Frauen in Belgien - es sind schätzungsweise 300 - aber mit empfindliche Strafen rechnen. Auf vollständiges Verhüllen stehen 137,50 Euro Bußgeld oder eine Woche Gefängnis.

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