Spätes Coming-out und die Folgen

Indie-Komödie "Beginners"

Ein Familienvater findet im hohen Alter endlich die Kraft für sein Coming-out: "Beginners" heißt diese amerikanische Independent-Komödie, in der einander Ewan McGregor und Christopher Plummer kongenial zur Seite stehen. Wer meint, diese Geschichte klinge an den Haaren herbeigezogen, liegt falsch.

Die Komödie kommt am Freitag, 16. September 2011 in die heimischen Kinos.

Mittagsjournal, 13.09.2011

Eine authentische Geschichte

Der Enddreißiger Oliver hat gerade seinen Vater begraben, jetzt räumt er dessen Haus und gräbt sich dabei durch seine Erinnerungen. Und die sind wegen des späten Coming-outs seines Vaters ganz schön turbulent. Regisseur Mike Mill hat nicht nur das Drehbuch zu "Beginners" geschrieben, er hat die Geschichte selbst erlebt: "Mein Vater outete sich mit 75, nachdem meine Mutter nach 44 Jahren Ehe gestorben war. Ich liebte diesen neuen Vater, er war so positiv, dauernd unterwegs und unternahm hundert verschiedene Dinge. Und auch unsere Gespräche bekamen eine ganz neue Tiefe. Unser Verhältnis war von einer ganz unglaublichen emotionalen Offenheit geprägt."

Es geht um Zwänge in diesem Film, um selbst auferlegte genauso wie um gesellschaftliche. Und darum, wie man sich von ihnen löst. In der Erzählweise ist der Film dabei episodisch, springt, und damit imitiert er die Erinnerung, leichtfüßig durch die Zeit. Zum neuen Leben des Vaters eingebunden in einen schwulen Freundeskreis aber auch zurück in die Kindheit Olivers, in der er immer wieder unter der Distanziertheit gelitten hatte, mit der seine Eltern sich begegneten.

Homosexualität als "Geisteskrankheit"

Wieder liegen dem Drehbuch authentische Erfahrungen zu Grunde, die Regisseur Mike Mills in langen Gesprächen mit seinem Vater aufgearbeitet hat: "Meine Eltern trafen sich 1955 und als meine Mutter vorschlug zu heiraten, gestand ihr mein Vater, dass er schwul sei. Sie meinte damals, das bekommen wir schon in den Griff. Er wollte auch unbedingt heterosexuell sein und war deshalb auch schon beim Psychotherapeuten gewesen, der ihm, wie damals üblich, erzählt hat, dass Homosexualität eine Geisteskrankheit sei. Und mein Vater glaubte das damals auch und fürchtete sich davor, schwul zu sein, weil er Leute kannte, die dafür ins Gefängnis gekommen waren oder in eine psychiatrische Anstalt, wo man sie dann mit Elektroschocks behandelt hatte und das schockierte ihn natürlich."

Obwohl es um selbst Erlebtes geht, hat Mike Mills die richtige Distanz zu seinem Thema gefunden. Leichtfüßig wechselt er zwischen emotional tiefgehenden Momenten und einer oft absurden Komik.

Glaubwürdig und sympathisch

Mike Mills ist übrigens mit der Künstlerin, Schriftstellerin und Filmemacherin Miranda July verheiratet, die in ihre Filme gerne ihre Kunstprojekte und Bilder einbaut. Ähnliches macht auch Mills, der eigentlich gelernter Grafiker ist und diesen Beruf auch seinem filmischen Alter Ego Oliver verpasst hat. Der darf seine Trauer dann auch mit dem Zeichenstift verarbeiten, weil er ohnehin gerade an dem Plattencover für eine Band arbeitet, die passenderweise "Die Traurigen" heißt.

Und das hatte, so erzählt Mills, wiederum Folgen in der Realität: "Die Beastie Boys haben den Film gesehen und wollten, dass ich ihr neues CD-Cover entwerfe. Bei mir ergibt sich also eines aus dem anderen. Für die Welt da draußen und vor allem für die amerikanische Filmindustrie ist das sicher verstörend, aber für mich funktioniert es."

Seltener hat ein Film glaubwürdiger und sympathischer vorgeführt, dass das Leben jederzeit neu los gehen kann und dass alle "Beginners" sein können.

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Focus Features - Beginners