Auf der Suche nach dem Glück

Konrad Paul Liessmann

"Das Schlimme am Glück ist, dass jede Definition des Glückes zum Unglück führt." Der Philosoph Konrad Paul Liessmann verweist auf eine der bittersten Enttäuschungen unserer Zeit: Das Glück, nach dem doch alle streben, lässt sich nicht fassen; es lässt sich nicht definieren - und schon gar nicht lässt es sich kaufen.

"Unsere Zeit, die moderne bürgerliche Gesellschaft, hat zwei Probleme mit dem Glück: Auf der einen Seite ist das Glück das, wonach wir streben sollen, auf der anderen Seite haben wir uns eine Gesellschaft geschaffen, in der uns das Glück im Wesentlichen als ein konsumierbares Glück erscheint.

Philsophicum Lech

Seit Mittwoch dieser Woche findet in Lech am Arlberg wieder das alljährliche Philosophicum statt, das diesmal die "Jagd nach dem Glück" zum Thema hat. Konrad Paul Liessmann wird dabei, unterstützt von zahlreichen Experten der uralten Philosophenfrage nachgehen, was denn ein gelungenes Leben sein könnte. Liessmanns Ansicht nach ist es indes leichter, zu definieren, was ein gelungenes Leben nicht ist. Was Glück nicht sein kann, hat er tagtäglich vor Augen: Die Wohnung des Philosophen befindet sich im Zentrum einer der beliebtesten Einkaufsstraßen Wiens. Hier sieht er die Gesichter der modernen Glücksritter und entdeckt Bilder des Unglücks:

"Dieses Gehetzt-Sein, dieses Getrieben sein, diese Ungeduld, die man hier spürt. Das sind eher getriebene, fremdbestimmte, überforderte Wesen. Und das sind Aspekte, die man nicht mit Glück in Zusammenhang bringt."

Ein Phänomen der Moderne

In früheren Gesellschaften kam der Mensch, so Konrad Paul Liessmann, gar nicht erst in die Verlegenheit, so dringlich sein Glück zu finden, denn es war bereits in der Wiege vorgezeichnet, ob er Untertan, Herrscher, Dienstmagd oder Offizier sein würde. Erst mit den Errungenschaften der Moderne wurde dem Menschen zugestanden, nach seinem persönlichen Glück zu suchen - so ist das Recht auf Glückssuche etwa auch in der amerikanischen Unabhängigkeitserklärung formuliert. So weit so gut. Doch mittlerweile ist die Glückssuche längst zu einem Stressfaktor geworden:

"Unter der Hand haben wir aus diesem Streben nach Glück so etwas wie eine Pflicht gemacht. Da gibt es offenbar diese gesellschaftliche Übereinkunft, dass der Mensch nicht nur das Recht, sondern die Pflicht hat, glücklich zu sein. Und wenn er das nicht schafft, muss man ihm dabei helfen, er muss instand gesetzt werden, glücklich zu werden."

Die Kunst, das Glück zu finden

Das Glück lässt sich nicht fassen, nicht kaufen und nicht erlernen. Es will nicht gejagt und nicht angestrebt werden - und doch kann man es erreichen. Der Spur zum Glück verläuft über einen Umweg:

"Ich denke schon, dass es ein ganz großes, ein intensives Gefühl von Glückserfahrung sein kann, von sich selbst abwesend zu sein. Wenn man ständig an sich denkt, sich ständig selbst erfahren will und nach seinen Bedürfnissen forscht wird man immer unglücklicher. Am glücklichsten ist man, wenn man überhaupt nicht an sich denkt, sondern imstande ist, sich in eine Sache zu versenken."

Ästhetische Erfahrungen können ein Modell für Glückserfahrung sein, ist der Philosoph Konrad Paul Liessmann überzeugt:

"Ein gutes Kunstwerk zeichnet sich dadurch aus, dass es uns in allen oder mehreren Dimensionen unseres Seins in Bann schlägt. Es lässt mich nicht kalt, aber gleichzeitig spiele ich keine Rolle, sondern stehe vor der Aufgabe, mich einem ganz anderen zu widmen. Und gerade wenn ich mich vergesse und mich darauf einlasse, kann ich die Erfahrung machen, dass es sehr viel mit mir zu tun hat, aber eben auf diesem interessanten Umweg, der meines Erachtens charakteristisch ist für das Glück. Eines meiner Lieblingsbilder hängt im Kunsthistorischen Museum in Wien: Die sogenannten ‚Drei Philosophen‘ von Giorgione. Es ist eines der rätselhaftesten Bilder, das vielleicht je gemalt worden ist. Sich darin zu versenken, über die Konstellation von Figuren, was sie bedeuten, was sie repräsentieren und wie sie gemalt sind, nachzudenken, das ist was etwas wunderbares. Ich kann auch wichtige Romane immer wieder lesen und jedes Mal neue Facetten entdecken - und dasselbe gilt für die Musik, die ja von der Wiederholbarkeit lebt. In einer Wagneroper - der Tristan, Lohengrin, der Ring der Nibelungen, und - horribile dictu - als Nitscherianer muss ich es leider sagen: sogar der Parsifal in einer gelungenen Aufführung, einer intelligenten Inszenierung: das macht mich glücklich."

Service

Konrad Paul Liessmann, "Denken und Leben I+II+III+IV", ORF CD