Das Geheimnis erfolgreicher Menschen

Erotisches Kapital

Intelligenz und eine gute Ausbildung allein sind keine Garanten für beruflichen Erfolg - wir müssen lernen, Sex-Appeal und natürliche Schönheit für uns zu nutzen. Männer wie Frauen. Dies ist die These der britischen Soziologin Catherine Hakim.

Ihr neues Buch "Erotisches Kapital. Das Geheimnis erfolgreicher Menschen" ist soeben im Campus Verlag erschienen. Anhand fundierter Recherchen und Studien erklärt die Autorin ihr Konzept des erotischen Kapitals und untersucht die sozialen Mechanismen, die als attraktiv erscheinenden Menschen helfen, in kürzerer Zeit mehr zu erreichen.

Attraktivität schlägt Bildung

"Wir hatten schon immer die Idee, dass Attraktivität zählt", sagt Hakim. "Die jüngere Forschung hat nicht nur nachgewiesen, dass Attraktivität zählt, sondern auch auf welche Weise und in welchen Bereichen. Attraktive Männer und Frauen verdienen zum Beispiel 10 bis 20 Prozent mehr als ihre weniger attraktiven Kollegen und Kolleginnen - bei sonst gleichen Voraussetzungen und Qualifikationen."

Catherine Hakim, Soziologin an der renommierten London School of Economics, hat sich eingehend mit der Bedeutung von Attraktivität für den beruflichen Erfolg befasst. Ihr Artikel in der "European Sociology Review" vor zwei Jahren löste in Großbritannien ungeahntes Interesse aus.

Als ausschlaggebend für Erfolg galten bisher die von dem französischen Sozialwissenschaftler Pierre Bourdieu benannten drei Faktoren: ökonomisches und soziales Kapital sowie Humankapital - also Geld, Beziehungen und Bildung. Catherine Hakim fügt nun das "erotische Kapital" eines Menschen hinzu.

"Wenn ein Mensch attraktiv ist, sehe ich ihn gern an und widme ihm mehr Aufmerksamkeit", so Hakim. "Alles, was attraktive Menschen sagen, klingt überzeugender. Deshalb können sie auch mehr und besser verkaufen - sei es Ideen, Politik, Produkte oder Dienstleistungen. Andere Leute reagieren freundlicher auf sie und arbeiten gern mit ihnen zusammen. Sie finden schneller Freunde, sind effektiver am Arbeitsplatz und im Privatleben. Alles ist ein bisschen leichter für sie."

Konventionalität über Individualität

Was genau macht aber nun einen Menschen in den Augen anderer attraktiv? Catherine Hakim versammelt in ihrem Buch viele Beispiele aus dem Alltag und der Wissenschaft. Mit Hilfe der digitalen Computertechnik konnten Forscher etwa Fotos manipulieren und so feststellen, welchen Unterschied schon kleinste Veränderungen in einem Gesicht ausmachen. Unabhängig von ihrem jeweiligen kulturellen und sozialen Hintergrund stimmten ihre Testpersonen zu 85 Prozent darin überein, welches Gesicht sie mehr oder weniger attraktiv fanden.

"Ein ebenmäßiges Hautbild und symmetrische Gesichtszüge, aber auch ein gleichmäßiger Körperbau sind Indikatoren für Gesundheit und Normativität", so Hakim. "Der dritte Faktor ist Konventionalität. Das gilt auch für Punks oder Anhänger der Gothic-Szene oder der anderen neuen Stile. Innerhalb einer solchen kulturellen Gruppe oder eines 'Stammes', wie ich es nenne, gilt Konventionalität als attraktiv."

Auch gute Manieren zählen

Ein ebenmäßiges Gesicht allein macht einen Menschen in den Augen von Catherine Hakim aber noch nicht attraktiv. Weitere Kriterien müssten hinzukommen: soziale Kompetenz und gute Manieren, eine positive Selbstdarstellung wie typgerechte Kleidung, Farben und Frisur, Charme und Humor, sowie körperliche Fitness und - als privatester Faktor - sexuelle Kompetenz. Diese sechs Faktoren machen für Catherine Hakim das erotische Kapital eines Menschen aus. Wie auf dem realen Kapitalmarkt könne es in andere Währungen, sprich Ressourcen eingetauscht und angehäuft werden.

"Ganz wesentlich ist, dass erotisches Kapital konvertierbar ist in Geld, wie auch soziales Kapital zu Geld gemacht werden kann und umgekehrt", meint Hakim. "Wenn einer der sechs Aspekte des erotischen Kapitals fehlt, kann man in einen anderen Aspekt umso mehr investieren. Wenn man also kein schönes Gesicht hat, kann man sich eine gute Figur erarbeiten, indem man viel Sport treibt und sich fit hält. Man kann seine Umgangsformen verbessern, Charme und andere soziale Fähigkeiten entwickeln."

Hübsche Kinder lernen schneller

Das erotische Kapital eines Menschen hat nach den Recherchen von Cathrine Hakim inzwischen für den beruflichen Erfolg ebenso viel Gewicht wie die fachlichen Qualifikationen. Aktuellen Studien in der Entwicklungspsychologie zufolge manifestiere sich dies bereits in der Kindheit.

"Hübsche Kinder lernen gute Umgangsformen schneller, und umgekehrt gilt, Leute mit guten Umgangsformen werden von anderen als attraktiver wahrgenommen", erklärt Hakim. "Sämtliche Studien auf diesem Gebiet haben ergeben: Körperliche und soziale Attraktivität sind verbunden und bewirken als Paket, ob wir jemanden mögen und freundlich zu ihm sind - oder ihn meiden."

Hoher ökonomischer Wert des Aussehens

In ihrem Buch macht Catherine Hakim nicht nur klar, wie wichtig erotisches Kapital ist, sondern auch, dass es in unseren Wohlstandsgesellschaften immer wichtiger wird. Da wir nicht mehr mit dem Überleben beschäftigt sind, können wir uns den Luxus eines besseren Aussehens leisten. Zudem werden mehr und mehr manuelle Tätigkeiten durch Berufe im Dienstleistungssektor ersetzt, wo gutes Auftreten, soziale Kompetenz und äußere Erscheinung mehr zählen.

"Sogar in der Wissensindustrie und den Berufen, wo Fachwissen und Qualifikationen am meisten zählen, verschafft ein attraktives Äußere einen zusätzlichen Vorteil", weiß Hakim. "Wir betonen immer so sehr die Bedeutung von Bildung. Früher, als nur fünf Prozent der Bevölkerung die Universität besuchten, hatte ein solcher Abschluss einen hohen ökonomischen Wert. Heutzutage, wo 30 Prozent der Bevölkerung studieren, ist dieser Wert in allen europäischen Ländern und in Nordamerika stark gesunken. Und er wird weiter sinken, je mehr Menschen studieren."

Auch hier: Frauendiskriminierung

Wenn die Bedeutung von erotischem Kapital so eindeutig ist, warum, fragte sich Catherine Hakim, haben Sozial- und Wirtschaftswissenschaftler diesen Faktor bislang missachtet? Ihre These: Der Grund liegt in den nach wie vor ungleichen Geschlechterverhältnissen. Frauen investierten traditionell wesentlich mehr in ihr Aussehen. Dennoch verdienen attraktive Männer im Durchschnitt 17 Prozent mehr als ihre weniger ansehnlichen Geschlechtsgenossen, attraktive Frauen hingegen nur 12 Prozent mehr als weniger attraktive Frauen.

"Da dies für alle Länder zutrifft, ist das in meinen Augen ein Beweis für Geschlechterdiskriminierung. Die patriarchale Ideologie hat immer dafür gesorgt, dass Frauen keine Belohnung bekommen für das, was sie gut können", meint Hakim. "Hausarbeit und Kindererziehung sind nur zwei Beispiele für Arbeiten, die in unserer Gesellschaft wenig Renommee haben und gering entlohnt werden. Meiner Ansicht nach gilt das genauso für die äußere Schönheit. Männer erwarten sie von Frauen - ganz selbstverständlich. Aber wenn ein Mann charmant ist, gut erzogen und attraktiv - nun dann ist das eine erotische Tat und muss gut entlohnt werden."

Wenn es nach Catherine Hakim geht, soll sich dies bald ändern. Dafür genüge es jedoch nicht, führt sie in ihrem Buch aus, wenn Frauen lernen, selbstbewusster Gehaltserhöhungen oder eine Beförderung zu verlangen. Nach Ansicht der Autorin, die als international anerkannte Expertin für Frauen in der Arbeitswelt sowie für Familien- und Sozialpolitik gilt, bedarf es hierfür seitens der Frauen eines vollständigen Perspektivenwechsels. Dreh- und Angelpunkt dabei sei das - Zitat - "Sexdefizit" von Männern.

Neues Genderzeitalter eingeläutet

"Alle Umfragen zu Sex und Sexualität, in völlig verschiedenen Kulturen, besagen das Gleiche", stellt Hakim fest: "Dass es hier eine große Kluft zwischen den Geschlechtern gibt. Männer begehren Frauen - vor allem junge und attraktive Frauen - sexuell weit mehr als Frauen Männer. Frauen sind diesbezüglich entspannter, während Männer bereit sind, sehr viel zu tun und zu wagen, um dieses Ziel in ihrem Leben zu erreichen. Dies wird noch ein großer Stolperstein für Männer werden. Aus diesem Grund haben sie diesen Aspekt vor Frauen stets verschleiert. Deshalb kontrollieren sie die Sexindustrie - und die Frauen. Und sie tun alles, um es für Frauen unmöglich zu machen, diese eine wesentliche Schwäche der Männer auszubeuten."

Mit dieser These hat Catherine Hakim in Großbritannien manche Kritik geerntet, insbesondere von Frauenrechtlerinnen. Der ungewöhnliche Blickwinkel macht ihr Buch jedoch auch speziell und lesenswert. Mit ihrer These postuliert Catherine Hakim nichts weniger als eine Sichtweise, die das Machtverhältnis zwischen den Geschlechtern fundamental wandeln könnte. In der jüngeren Generation, wo Frauen durchschnittlich besser qualifiziert sind als Männer, sieht die Soziologin das neue Genderzeitalter bereits eingeläutet.

"Das ist der Grund, warum es inzwischen mehr Werbung für Deodorants für Männer gibt, und warum Männer mehr Aufmerksamkeit darauf verwenden, sich körperlich fit zu halten und einen attraktiven Körper zu haben", meint Hakim. "Frauen müssen die Macht und den Wert ihres erotischen Kapitals begreifen und es entsprechend einsetzen, damit sie den gleichen Gegenwert daraus ziehen wie Männer. Und nicht länger darauf warten, was ihr Chef oder sonst ein Mann ihnen zukommen lässt."

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Catherine Hakim, "Erotisches Kapital. Das Geheimnis erfolgreicher Menschen", aus dem Englischen übersetzt von Susanne Kuhlmann-Krieg, Campus Verlag

Campus Verlag - Erotisches Kapital