Erfüllen sie immer die Bedürfnisse?

Konzertsäle als Kathedralen der Moderne

Das Opernhaus von Sydney galt lange als Krone der Kulturarchitektur. Mit seinen weißen Segeln den Booten des Hafens nachempfunden, hat es Architekturgeschichte geschrieben und international Schule gemacht hat. Oslo etwa ließ sein Opernhaus am Hafen wie einen Eisberg gestalten.

Der Kubusbau der Reykjaviker Oper imitiert im Wechsel der Jahreszeiten die Farbstimmungen des Nordlichts. Solcherart Aufsehen erregende Architektur hat aus den Kulturhäusern regelrechte Tempel des Nationalstolzes gemacht. Doch der Musikmanager Karsten Witt geht mit den Architekten solcher "Nationalsymbole" hart ins Gericht: Die Kultur werde in diesen neuen Prestigebauten völlig an den Rand gedrängt. Die Bedürfnisse der Künstler oder des Publikums oft gar nicht mehr berücksichtigt:

"Wenn Sie heute schauen, wie Konzertsäle gebaut werden als Kathedralen der Moderne, als Vorwand für große Architektur, dann ist die Gefahr, dass man zu wenig bedenkt, dass sie hinterher wirklich gebraucht werden."

Positivbeispiel: Das Wiener Konzerthaus

Die Behauptung, Kunst sei zwangsläufig ein Zuschussgeschäft, werde von vielen Beispielen widerlegt, meint Witt. Eines davon: das Wiener Konzerthaus, das Karsten Witt von 1991 bis 1996 leitete.

"Das Konzerthaus in Wien wurde 1913 gebaut von Fellner & Helmer, das waren Architekten, die bis dahin zirka 80 Konzerthäuser und Theater in ganz Europa gebaut haben", sagt Witt. Damals habe man eben erfahrene Architekten genommen, weil man einen "praktischen Raum" haben wollte.

Ob klassisches Konzert oder Rockmusik: Der Multi-Funktionskomplex ist für alle Bedürfnisse ausgerüstet und arbeite schon seit 100 Jahren nahezu ohne Subventionen: Zum Beispiel lägen die drei Bühnen direkt nebeneinander, was bedeutet, dass man die drei Säle mit einer einzigen Technik-Mannschaft bedienen könne und "die funktionieren bis heute hervorragend" - nicht zuletzt, weil das Haus auch als Ballsaal genutzt wurde und daher sehr multifunktional und kostengünstig sei.

Negativbeispiel: Elbphilharmonie

Als Beispiel für die Verwerfungen moderner Kulturarchitektur nennt Karsten Witt die Elbphilharmonie in Hamburg. Auf einem Parkhaus gebaut, mehrere Stockwerke hoch, sei das Gebäude weder von der Akustik noch aus betriebswirtschaftlicher Sicht sinnvoll zu betreiben, moniert der Kulturmanager: "In Hamburg sind die Bühnen der beiden Säle weit voneinander entfernt, sodass bei parallelen Veranstaltungen zwei Technikmannschaften notwendig sind."

Die Schönheit der Akustik

Dass es auch anders geht, zeigt das neue Konzerthaus in Helsinki. Architekt Marko Kivisto hat ein von außen eher unscheinbares Gebäude entworfen, das sich vor allem harmonisch ins Umfeld einfügen sollte. Das Innere jedoch wurde in enger Zusammenarbeit mit dem künftigen Musikmanagement konzipiert, um Klang, Raum und Funktion bestmöglich zu verbinden.

Das Gebäude sei Hintergrund für etwas ganz Spezielles, erklärt der Architekt. Die Frage bei der Planung war: Was soll transportiert werden? In diesem Fall sei es nicht nur die Musik, sondern auch die Bedeutung von Musik. "Die Akustik haben wir nicht nur nach physikalischen Aspekten betrachtet, sondern auch vom Standpunkt der Schönheit und der Assoziationen, die Kunst bei den Menschen auslöst", so Kivisto.

Text: Jutta Schwengsbier