Unterwegs im Land zwischen Meer und Fluss

Im Delta des Po

Das Podelta verdankt seine Entstehung dem Zusammenwirken von Mensch und Natur und es ist ein Lebensraum, der einem steten Wandel unterliegt. Wiederholt veränderte der Fluss seinen Verlauf und sein Lehm und Sand ließen das Land angewachsen.

Das nährstoffreiche Wasser ist Grund für große Fruchtbarkeit und die Entstehung einer ganz eigenen und vielfältigen Flora und Fauna. Doch neben diesen natürlichen Prozessen wurde das Mündungsgebiet auch von den Menschen geprägt. Sie versuchten, sich vor den gewaltigen Fluten zu schützen, bauten kilometerlange Deiche und zogen ein dichtes Netz von Entwässerungskanälen.

Wasser dominiert den Alltag der Menschen

Um das 200.000 Hektar große Mündungsgebiet mit seinen Sümpfen und Marschen bewohnbar und nutzbar zu machen, wurde bereits 1914 mit dem Bau eines ausgeklügelten, 1.200 Kilometer langen Kanalsystems begonnen, das in der Pump- und Schleusenanlage von Saiarino endet. Dieses technische Meisterwerk ist gleichzeitig ein Schmuckstück der Industriearchitektur und wurde bereits im Jahr 1925 in Betrieb genommen, doch es funktioniert auch nach fast 100 Jahren noch immer tadellos.

Mit sechs meterhohe Motoren, von denen jeder 9.500 Liter Wasser pro Sekunde anheben kann, gelingt es, das tiefliegende Land, das nicht auf natürliche Weise entwässert werden kann, trockenzuhalten. Das Regenwasser muss auf das Niveau der Flussarme, Bäche und Kanäle hinaufgepumpt und ins Meer hinausgeleitet werden.

Im Museo della Bonifica im Wasserwerk erinnern zahlreiche Fotos und Ausstellungsstücke an die enormen Kosten und unsäglichen Mühen, die Generationen von Deltabewohnern in das gigantische Trockenlegungs- und Trockenhaltungs-Projekt investiert haben.

Comacchio, die heimliche Hauptstadt des Deltas

In Comacchio hat sich nicht nur die alte Kunst des Aalmarinierens erhalten, in den Kanälen, denen das kleine Städtchen im Herzen des Deltas den Beinamen Klein-Venedig verdankt, schaukeln noch immer die "batáne", flache Boote, deren Form sich seit der Römerzeit kaum verändert hat.

Fremde haben den verschlafenen Fischerort erst entdeckt, nachdem der Regionalpark Delta del Po geschaffen wurde. Dieser hat den Comacchiesi auch neue Arbeitsplätze und einen bescheidenen Wohlstand gebracht, denn er hat Comacchio zum Ausgangspunkt für Ornithologen und Exkursionen in die natur- und kulturreiche Region gemacht.

Das Podelta ist Heimat von rund 460 Wirbeltierarten, 140 nistenden und 180 überwinternden Arten von Vögeln, sowie rund 1.000 Pflanzenarten. Doch ihre Lebensräume, die über Jahrtausende hinweg durch die Ablagerung von Sand, Schlamm und anderen Feststoffen entstanden sind, wurden jedoch durch die intensive Landnutzung Innerhalb eines Jahrhunderts auf wenige tausend Hektar reduziert. Der Regionalpark Podelta schützt die letzten Reste ursprünglicher Landschaftsformen.

Für Ornithologen ist das Mündungsgebiet ein Paradies, aber auch Kulturinteressierte zieht es in die von Natur geprägte Landschaft. An der strada roméa etwa, der Römerstraße, die einst Venedig mit Ravenna und Rom verband, lohnt ein Besuch im Gran Bosco di Mesola, dem einzigen Urwaldrest, in dem die letzten Dünenhirsche ein Refugium finden.

Am alten Pilger- und Handelsweg liegt auch die Abtei von Pomposa mit ihren bedeutenden frühromanischen Fresken und Mosaiken.

Die Benediktinermönche haben auch den sumpfigen Boden rund um das Kloster urbar gemacht. Und sie waren auch Pioniere, was den Weinbau betrifft. Diese Tradition lebt - mit großen Unterbrechungen - bis heute fort.

Kulinarische Entdeckungen

"Die Weingärten wurden immer auf kleinen Erhebungen angelegt, denn auf den kleinen Sandinseln, die nur wenig über das salzige Wasser ragen, gedieh ja außer Rebstöcken nichts", erklärt Natale Scalambra, dessen Familie schon seit Generationen einen der typischen Bauernhöfe der Region bewirtschaftet. Für ihn haben die Sandinseln oder Dünen auch ihre Vorteile: "Unsere Weinstöcke wachsen aus ihren eigenen Wurzeln, man muss sie nicht auf fremde Stöcke aufpfropfen, denn der sandige Boden verhindert, dass sie von der Reblaus befallen werden." Die spritzigen weißen, aber auch die roten Sandweine sind klassische Nischenprodukte und kaum über die Region hinaus bekannt.

Fast ausschließlich regional vermarktet wird auch der Delta-Reis. Die traditionellen Sorten Arborio und Carnaroli eignen sich besonders für die Risotto-Zubereitung, denn er enthält mehr Stärke als andere Sorten. Der Reis zerkocht folglich nicht, sondern bleibt fest und man spürt die einzelnen Körner noch, wenn man sie zwischen den Zähnen hat.

Neben der Landwirtschaft spielt auch die Nutzung der Gewässer in der lokalen Wirtschaft eine bedeutende Rolle. Jahrtausendelang lieferte das süße Wasser des Po, das Brackwasser der Lagunen und das salzhaltige Meer Nahrung in Hülle und Fülle. An den Bocche del Po, den Mündern des Po, lebt man noch heute fast ausschließlich von der Fischerei.

Alte Traditionen und moderne Umweltsünden

Berühmt ist der Fischmarkt von Goro, einem 4.000-Seelen-Dorf an der Mündung des gleichnamigen Flussarms, des Po di Goro. Hier decken sich Restaurantbesitzer und Fischhändler mit fangfrischer Ware ein. Das Geschäft wird auf eine altertümliche Art und Weise abgewickelt, die es nur in Goro gibt: auf einer Auktion "nach Gehör".

Verkauft werden fast ausschließlich Fische aus dem Meer, denn Po-Fische gibt es schon lange nicht mehr. Außer einigen wenigen Meeräschen und Welsen schwimmen keine Fische mehr im "Großen Fluss", und auch die Aale, früher im Überfluss vorhanden, sind dank der Fabriken und der Agroindustrie am Oberlauf vom Aussterben bedroht.

"An den Bocche del Po - es gibt sieben solche Münder, aus denen das Powasser in die Adria strömt - ist die Schadstoffkonzentration am höchsten", sagt der Biologe Francesco Paesanti, denn "auf seinem 652 Kilometer langen Weg von der Quelle bis hierher, kommt eine Menge an giftigen Substanzen und Bakterien zusammen, auf die wir gerne verzichten würden. Nicht verzichten können wir aber auf eine andere Fracht, die das Po-Wasser ebenfalls mit sich führt: auf den Schlamm, den Sand und die Nährstoffe, denen wir die Fruchtbarkeit unserer Böden und Gewässer und das heißt letztlich auch unser Leben verdanken, obwohl wir seine verheerenden Fluten oft genug auch verfluchen. Wir haben ein Sprichwort, das unser ambivalentes Gefühl gegenüber dem Fluss gut zusammenfasst. Es lautet: 'Dder Po gibt und der Po nimmt.' So ist es nun einmal und es bleibt uns gar nichts anderes übrig, als das Beste daraus zu machen."

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