Wiener Festival "Literatur im Herbst"

"Literatur im Fluss"

"Literatur im Fluss" wird am kommenden Wochenende im Wiener Odeon gefeiert - mit prominenten Autoren aus allen Donauländern. Und Literatur am Fluss ist seit Ende September unterwegs: auf der "MS Stadt Wien" - einer Art schwimmendes Literaturhaus.

Kultur aktuell, 24.10.2011

Russe, das ehemalige Rustschuk, erreicht man von Rumänien aus über die so genannte Freundschaftsbrücke, eine zweistöckige Fachwerkbrücke aus Stahl, die in der Sowjetperiode zwischen 1952 und 54 gebaut wurde. Es ist die einzige Donaubrücke, die Rumänien mit Bulgarien verbindet, die einzige Donaubrücke auf einer Strecke von über 800 Kilometern.

Und: Von Freundschaft keine Spur, sagt der deutsch-rumänische Autor und Leiter des Literaturhauses Berlin Ernest Wichner, jahrzehntelang habe man mit dem Rücken zueinander gelebt.

Autoren mit sieben verschiedenen Sprachen

Gegen Strömung fährt jetzt die "MS Stadt Wien" - ein Raddampfer als Literaturschiff. Russe in Bulgarien, Cetate in Rumänien, Belgrad und Novi Sad in Serbien, das kroatische Vukovar, Budapest - Bratislava - Wien - das waren bzw. sind die Stationen der fünfwöchigen literarischen Reise.

An Bord: Autoren aus sieben verschiedenen Sprachen, es wird geschrieben, übersetzt und diskutiert - über nationale, europäische und zukünftige Mythen und - zum Auftakt der Reise im Hafen von Russe - über Erinnerungskulturen. Denn: ohne die Auseinandersetzung mit der jeweils eigenen Vergangenheit kann es keinen gemeinsamen Diskurs geben, betont die Literaturwissenschaftlerin und Leiterin der Elias-Canetti-Gesellschaft in Russe, Penka Angelova.

Erinnerungsarbeit

Ein singuläres Beispiel beginnender Erinnerungsarbeit ist der dokumentarische Roman "Goreshto cherveno", das heißt so viel wie "Heißes Rot", ein Roman der bulgarischen Autorin Ivayla Alexandrova. Sie hat die bulgarische Intelligenzija nach dem Einmarsch der russischen Truppen 1944 unter die Lupe genommen: "Das Buch wurde viel gelobt und ausgezeichnet, unter anderem auch mit dem Canetti Preis, aber leider wollte niemand wirklich über das Thema des Buches reden."

Die Vorwürfe, die der Roman gegen die ehemalige kommunistische Führung und gegen die Mitläufer erhebt, wurde sozusagen mit den Lorbeeren der größten nationalen Literaturauszeichnung zugedeckt, meint Ivayla Alexandrova und: "Wenn wir uns nicht mit Zivilcourage und schonungsloser Offenheit unserer Vergangenheit stellen, dann wird sich die Geschichte wiederholen."

Textfassung: Walter Gerischer-Landrock

Mit ihrem Engagement sieht sie sich in Bulgarien nach wie vor allein auf weiter Flur. Der Schritt in die EU habe dazu geführt, dass man noch mehr vertuscht, um eine glänzende Oberfläche präsentieren zu können, meint Ernest Wichner.

Von der Vergangenheit und der gemeinsamen Zukunft im Donauraum wird am kommenden Wochenende im Wiener Odeon die Rede sein - bei der Literatur im Herbst.