Nicolas Mahler zeichnet "Alte Meister"

Thomas Bernhard als Comic

Ein gewagtes Experiment hat der Suhrkamp-Verlag begonnen: Er hat Comiczeichner eingeladen, ein Buch eines Suhrkamp-Autors auszuwählen und dieses in eine Graphic Novel, also einen Comic-Roman, umzuarbeiten. Den Anfang hat jetzt der Wiener Nicolas Mahler gemacht. Seine Wahl ist auf Thomas Bernhards Roman "Alte Meister" gefallen.

Kulturjournal, 14.11.2011

Schauplatz ist das Kunsthistorische Museum, wo der Ich-Erzähler den schwungvollen Tiraden des Musikphilosophen Reger gegen die Kunst im Besonderen und die Welt im Allgemeinen lauscht.

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Nicolas Mahler, "Alte Meister", Suhrkamp

Buchpräsentation: Montag, 14. November 2011, 19:30 Uhr, Kunsthistorisches Museum

Mahler

Typische Mahler-Figuren

Der Musikkritiker Reger sitzt auf seinem Stammplatz im Kunsthistorischen Museum, im Bordone-Saal direkt gegenüber von Tintorettos Weißbärtigem Mann. Die kugelförmige Gestalt ist ganz in schwarz gekleidet, der Kopf fast vollständig unter einem breitkrempigen Hut verborgen, eine typische Nicolas-Mahler-Figur, mit einem Gesicht, das fast nur aus Nase besteht.

Die Entscheidung für Thomas Bernhard und die "Alten Meister" sei vorschnell, weil aus großer Sympathie für das Werk gefallen, sagt Mahler, denn der Roman eigne sich eigentlich überhaupt nicht zur zeichnerischen Umsetzung: "Die äußere Handlung ist ja nur: Ein Mann sitzt in der Gemäldegalerie. Da kann man nicht viel machen. Und ich hab halt geschaut, dass ich Möglichkeiten nutze, die der Schriftsteller nicht hat. Der kann im Roman immer nur über die Alten Meister schreiben und schimpfen, wie jämmerlich und schlecht die eigentlich sind, und ich kann's aber zeigen auch."

Bitterschwarzer Humor

Wenn Thomas Bernhards Reger sich über Velazquez, Giotto und die anderen Alten Meister auslässt, und sie als "widerwärtig, abstoßend und schauerlich" beschimpft, dann zeigt sich Mahler als Kompagnon des Romanciers, der dessen Hasstiraden mit dem Zeichenstift kongenial, weil mit bitterschwarzem Humor umsetzt.

"Ich habe immer schon eine gewisse Schwierigkeit mit Malerei gehabt, weil mir Zeichnung viel näher ist", gesteht Mahler. "Bei Malerei ist immer so eine Wand zwischen mir und dem Bild. Ich kann das nicht wirklich schätzen, oder die Feinheiten goutieren. Deswegen war es für mich eine sehr angenehme Arbeit, mich mit der Formensprache einmal beschäftigen zu müssen. Ich sehe jetzt so Alte Meister natürlich schon anders als vorher. Aber es sind wirklich gerade die Italiener schon sehr verschmockt und sehr geeignet für eine Karikatur."

Freie Hand bei Textbearbeitung

Bei der Bearbeitung des Textes hatte Nicolas Mahler freie Hand. Die Tiraden, in denen Bernhard seine Hassliebe zu Wien feiert, hat er etwa ausgespart. Auch in der Chronologie hat er Änderungen vorgenommen, die ausgewählten Textpassagen teilweise gekürzt, neu arrangiert und ihnen dadurch einen eigenen Rhythmus verliehen.

"Was ich nicht wollte – was bei vielen Literaturadaptionen üblich ist – ist, dass ich so richtige Textblöcke habe. Ich habe mir gedacht: Drei, vier Zeilen ist schon das Maximum. Und nachdem die Bernhard-Sätze länger sind, habe ich sie entweder leicht gekürzt oder ich habe sie aufgeteilt. Manche gehen ja über vier, fünf Seiten oder sie sind in kleine Textblöcke zerteilt, die dann ins Bild integriert sind", erläutert der Zeichner.

Saaldiener im Fokus

Eine besondere Rolle kommt im Roman und fast mehr noch im jetzt erschienenen Comic dem Saaldiener Irrsigler zu.

Als Nicolas Mahler seine Recherche-Ausflüge ins Kunsthistorische Museum unternahm, galt seine Aufmerksamkeit deshalb auch weniger den Gemälden: "Ich bin schon durchmarschiert, aber ich hab ein bissl eine Museumsphobie und war immer froh, wenn ich wieder draußen war. Ich bin eher im Stechschritt durchgegangen und habe eigentlich mehr die Aufseher und die Toilettensituation recherchiert."

Autobiografisches Element

Bernhards Ich-Erzähler Atzbacher ist in der Comic-Neufassung der Alten Meister ein hoch aufgeschossener Mann mit einer kleinen schwarzrandigen Brille auf der prägnanten Nase. Auch diese Figur ist den Kennern von Nicolas Mahlers Werk bekannt. So hat sich der Zeichner in seinen autobiografischen Comics selbst dargestellt.

Dass er sich in die Alten Meister hineingezeichnet hat, passierte mit gutem Grund: "Der Ich-Erzähler ist ja in meinem Buch wirklich ich. Und das war für mich schon angenehm, weil ich wollte keine Kurzfassung machen, keine brave Adaption, sondern schon etwas Persönliches. Und da war es naheliegend, dass ich mich persönlich zum Reger auf die Sitzbank setze."

Bernhards einstige Vorbehalte

Bei der Buchpräsentation im Kunsthistorischen Museum wird auch Thomas Bernhards Suhrkamp-Lektor Raimund Fellinger anwesend sein. "Alte Meister", so erzählt er in seinem Wiener Hotel, wäre 1985 fast nicht in Österreich erschienen. Bernhard verweigerte nämlich anfangs die Auslieferung und musste von Verlagsleiter Siegfried Unseld erst mühsam umgestimmt werden. Der Grund: Bernhards Vorgängerroman "Holzfällen" war nach einer Ehrenbeleidigungsklage beschlagnahmt worden.

"Hier auf der Wollzeile, wo wir sitzen, sind die Polizisten in die Buchhandlungen gegangen und haben die Bücher herausgeholt. Und Bernhard hat das gesehen. Daraufhin gab es ja das Einfuhrverbot für 'Holzfällen' nach Österreich. Und Bernhard war wirklich verletzt. Und nach langem Ringen hat Bernhard dem eher zähneknirschend als enthusiastisch zugestimmt."

Seltener Glücksfall

Es ist ein seltener Glücksfall, wie sich in dieser Neubearbeitung der "Alten Meister" der sprachliche Humor Thomas Bernhards und der zeichnerische Humor Nicolas Mahlers begegnen. Tiefschwarz und bitterböse sind sie beide und dank der rhythmischen Seitengestaltung werfen sich Bild und Text den Spielball mit Verve hin und her.

Das Experiment ist also mehr als gelungen, dabei hätte Bernhard, so ist Mahler überzeugt, der Bebilderung seines Romans niemals zugestimmt: "Ich habe in einem Text gelesen, dass er die Vorstellung entsetzlich gefunden hat, dass eines seiner Bücher illustriert wird. Das war zum Glück schon zu einem Zeitpunkt, wo ich schon mitten in der Arbeit war. Aber von so etwas darf man sich natürlich nicht beeinflussen lassen."

Textfassung: Rainer Elstner