"Monetokraten" in Kiew

Hide and Seek der Oligarchen

Es ist dieses Spiel von Zeigen und Verstecken, Protzen und Verhüllen, das die Reichen dieser Welt so gerne trainieren. Auch in Kiew. Auf den Hügelkuppen, gleich anschließend an den Klosterkomplex Lavra, liegt Pechersk. Hier wohnt die untere Oberschicht. Und da sieht man vor allem Zäune.

Burka für Autos

Wenn Sie hohe Zäune sehen wollen, na bitte. Dafür zollt uns der Taxifahrer den Trottelpreis. Man sieht, dass man nichts sieht. Wir zuckeln durch eine Nebenstraße, holpern über schlafende Polizisten (Straßenschwellen), vorbei an schwarz gekleideten Private-security-Posten. Da und dort lugt die Dachspitze einer Villa hinter fünf Meter hohen Mauern hervor. Die Straße ist in schlechtem, verwahrlostem Zustand. Da und dort steht ein SUV vor einem Villentor, schweres Gerät mit schwarz getönten Scheiben. Diese Burka für Autos ist der sozialökonomische Schleier, in der Stadt inflationär und bevorzugt von Männern gebraucht.

200 UA (rund 20 Euro), wenn ich nach Kontscha Saspa will. Das ist der Kiewer Vorort mit noch höheren Zäunen und pompös-kitschigen Minipalästen, eine "gated community", vor 20 Jahren das Westport der sowjetischen Nomenklatur, heute jenes der ukrainischen "Monetokraten", soziologisch betrachtet ein und derselbe Stamm.

Im heiligen Schein der Sofienkathedrale

Zurück im Zentrum, vor der Sofienkathedrale, dem schönen himmelblauen Glockenturm, ein weiter, offener Platz. Das magische Dreieck der Macht: Kirche, Geld, Justiz. Man ist unter sich, hat gute Aussichten. Das Areal der Sofienkathedrale war einmal die Anlaufstelle der Metropoliten des Kiewer Rus, heute ist sie jene der Touristen.

Die klassizistische Hauszeile, unmittelbar daran anschließend, gehört dem Oligarchen Viktor Pinchuk. Er ist der zweitreichste Mann der Ukraine. Sein Nachbar ist ein Oligarch aus Donetsk, der ein postmodernes Ungetüm zu seiner Stadtadresse erklärt hat. Um die Ecke versteckt sich der Eingang zum "Sofijski Beauty- und Fitnesssalon", wo angeblich die Brüder Klitschko trainieren. Und das Haus vis à vis ist das Justizministerium. Davor stehen die Luxuslimousinen mit wartendem Chauffeur aufgefädelt, Schnauze Richtung Fahrspur.

Die erste Million ist immer schmutzig

Oligarchen sind Großunternehmer mit politischem Einfluss. Ihr Vermögen baut auf Beutezügen in den 1990er Jahre auf, als die schnellsten und vifsten den sowjetischen Nachlass hastig unter sich verteilten: Stahl, Kohle, Öl. Die Ukraine zählt rund 30 Oligarchen, fast alle sitzen im Parlament und auf Milliarden von US-Dollars.

Rinat Achmetow, Victor Pinchuk und Ihor Kolomoyski sind die Namen ganz oben auf der Gehaltsliste. Sie bauen Fußballstadien und Kunsthäuser, besitzen Fernsehstationen und PR-Agenturen, verdienen in der Ukraine, leben in Monaco und London, bunkern ihr Geld und ihre Kunstsammlungen in der Schweiz.

Speziell Pinchuk, Schwiegersohn des ehemaligen Präsidenten Leonid Kutschma, bemüht sich seit ein paar Jahren um das Image des Philantropen. Er macht das durch nachhaltiges Kunstsponsoring, eine Stiftung gegen Aids und – Geschmack. Ist das nicht zynisch? Die Journalistin Bohdana Kostiuk meint: "Wir befinden uns in der Frühphase des Kapitalismus', so wie vor 100 Jahren in Amerika. Schmutziges Geld wird legalisiert. Wie macht man das? Indem man es mit Bildung, Kultur, Hilfsprojekten sauber macht. Ein Kollege von mir nannte, Pinchuk sei der 'Rockefeller der Ukraine'."

Rockefeller der Ukraine

1933 wird an der 5th Avenue das Rockefeller Center eröffnet, erbaut mit Dumpinglöhnen. Rockefeller hatte die Wirtschaftskrise 1929 schamlos ausgenützt, aber sein Gesicht durch Investitionen für die Geschichte geschickt gedreht. Victor Pinchuk hat das Pinchuk Art Center eröffnet und dafür die besten Leute der Szene bestellt. Eckhard Schneider, ehemaliger Direktor des Kunsthauses Bregenz, sitzt seit 2008 als sein Direktor in Kiew. Das Haus steht am Bessarabska Markt, unmittelbar neben dem Prachtboulevard Creschtschatyk, ein Gebäude mit historistischer Fassade.

Körperpolitik und Durchleuchtungslogik

In der Nacht wird die Fassade des Pinchuk Art Center wie ein Bühnenbild angestrahlt. Wer hinein will, muss Schlange stehen. Das gehört zum Konzept, ist eine Art Körperpolitik, stadträumliche PR: Drängeln bestätigt die Nachfrage. Man glaubt sich am Hintereingang eines glamourösen Clubbings. Eine schmale Tür, drei Bodyguards im Anzug, Durchleuchtungsmaschine, aufgemotztes Publikum. Der Eintritt ist frei. Die Ausstellungsräume sind klein und eng. Dafür voll mit sündteuren großen Werken großer Namen: Damien Hirst, Olafur Eliasson, Andreas Gursky.

Hunger nach zeitgenössischer Kunst

Für die Zeit der Biennale in Venedig 2011 mietete Victor Pinchuk gleich zwei Palazzi am Canal Grande, sie waren die Außenstelle seines Kiewer Art Centers. Den nationalen Pavillon der Ukraine hat er von seinem Geld bezahlt, was bei einem staatlichen Kulturbudget von 0,06 Prozent notwendig klingt. Ist seine Transformation also gelungen? Eckhard Schneider sagt, sie wollten den jungen Menschen Zugang zu zeitgenössischer, abstrakter Kunst ermöglichen, das sei echtes "long term investment", der Hunger nach Kunst und Individualität groß.

Geschmackssache

An der Kunstakademie in Kiew riecht es nach Ölfarbe. Der junge Mann mit lockigem Pagenkopf, Bart und freundlichem Lächeln könnte für ein florentinisches Gemälde Modell gestanden sein. Er restauriert Bilder. Seine Kundschaft sind legal und illegal zu Geld gekommene Oligarchen. Derzeit arbeitet er an der Wertsteigerung eines Rubens.

Was da sonst noch so rumhängt in den Häusern der Superreichen? Viel sozialistischer Realismus, erzählt er. Die Rankings der teuersten und besten Künstler sind die wichtigsten Nachschlagewerke für die Sammler. An den Wänden fände man auch Kuzma Petrov-Vodkin, Filip Andrejewitch Malavin oder Mikhail Vrubel - also Galerien voll von symbolistischen Bildern mit sublimiertem Sex, gespickt mit Tod und Verklärung, alles flüssig und ephemer bis zum Rand, nur die Figuren haben Kontur, sind meist nackt, meist weiblich. Vorbild für Science-Fiction-Paintbrush-Pornos?

Mafia und Korruption

In Kiew verschiebt man die historische Verantwortung und den schlechten Geschmack gerne in den Osten. Der homo sowjeticus hielte die östliche Häfte des Landes bis heute zusammen, meint Volodymyr Boiko. Er ist ein freier Journalist und Blogger, er kommt selbst aus Donetsk, lebt in Kiew. In Donetsk sagen die Kiewer naserümpfend, da ganz im Osten, sitzt die Mafia. In Kiew ist sie bloß als Restaurantkette präsent, die Lachs-Carpaccio und Tiramisu zu erhöhten Preisen anbietet.

Transparency International kürte die Ukraine in ihrem Korruptionsranking 2010 mit Platz 134, also hinter Österreich auf Platz 16 und dem Schlusslicht wirtschaftlicher politischer Integrität: Somalia auf Platz 182.

Fassadendemokratie

Volodymyr Boiko beobachtet die ukrainische "Fassadendemokratie" seit 20 Jahren, die Zustände bieten Stoff für viele, absurde Romane: "Es gibt hier keine "Korruption", die Ukraine befindet sich in einem fortgeschrittenen Stadium des Feudalismus'. Die politische Macht zwingt die Bürger Steuern zu zahlen, um dann mit dem Geld zu verfahren, als wäre es ihr eigenes. Staatsanwalt, Gericht, Innenministerium sind einem obersten Feudalherren untergeordnet und 'sein Wille geschieht'."

Boris Kolesnikow zum Beispiel, der Mann hinter Viktor Janukowitsch, ist sowohl stellvertretender Ministerpräsident, Minister für Infrastruktur, als auch reicher Geschäftsmann in der Hotelbranche. Die Fußball-EM 2012 nahm er zum Anlass, ein neues Gesetz zu verabschieden, dass alle Unternehmer, die Drei-, Vier- und Fünf-Stern-Hotels bauen, für zehn Jahre steuerbefreit sind. Das inkludiert alle geschäftlichen Tätigkeitsfelder, sei es Hotellerie, Waffenhandel oder Agrarproduktion.

Tarifschema für Richter

Im Westen sagt man, die Ukraine soll demokratischen Standards entsprechen. Aber der Westen müsse endlich verstehen, sagt Volodymyr Boiko: "Wer hier Richter werden will, muss zahlen. Der Preis richtet sich nach dem Standort. Je wichtiger die Stadt, desto höher die Summe. In Kiew kostet eine Richterstelle 200.000 US.Dollar. In einer Provinzstadt vielleicht 40-50.000 Dollar. Der Richter bekommt einen fünfjährigen Arbeitsvertrag, dafür muss er einen Kredit aufnehmen, und in zwei bis drei Jahren hat er das Geld wieder herinnen. So ist unser 'Rechtsstaat'. Es gibt einen Markt für Gerichtsurteile, sie werden quasi gehandelt. Jeder Richter muss dem ihm vorgesetzten Richter anteilig zahlen. Und es gibt ein Tarifschema. Am teuersten sind die Fälle mit drohender Haftstrafe. In Donetsk war jetzt der Fall, dass zwei Richter ihren vorgesetzten Richter verklagten, weil er ihnen zu wenig solcher lukrativer Strafrechtsfälle zugeschanzt hat – mehr noch, sie alle an seine Frau vergeben hatte. Diese beiden Richter klagten ihn nun auf Verletzung ihres Arbeitsrechts."

Unvorhersehbare Vergangenheit

Menschen mit viel Geld orchestrieren den Staat und die Geschichte. Die Schaltzentrale ist Kiew. Verdrängen hilft beim Fortschreiten. Das Kiewer Geschichtsmuseum wurde vor ein paar Jahren aus dem Klov-Palast ausquartiert, weil der Oberste Gerichtshof mehr Platz brauchte. Seither nomadisieren die Objekte in diversen Lagerräumen und Kellern. Zahlen, Geschichte und Gedächtnis sollte locker nehmen, wer an der Macht bleiben will.

Das Tausendjährige Jubiläum der Sofienkathedrale war einmal mit 2037 datiert. Um auf das Budget für Jubiläumsfeierlichkeiten schon jetzt zugreifen zu können, hat man es auf 2011 vorverlegt. Volodymyr Boiko lacht: "Die Ukraine ist ein Land der unvorhersehbaren Vergangenheit".

Service

Länder-Analysen - Ukraine
Transparency International - Ukraine