Petrarcas Meisterwerk neu übersetzt
Canzoniere
Tristan und Isolde, Siegfried und Krimhild, Abaelard und Héloise sind die großen Paare der mittelalterlichen Dichtung, deren Liebe und Leid uns auch heute noch rühren. Und da gibt es noch Petrarca und Laura.
8. April 2017, 21:58
Der Tristan-Stoff und das Nibelungenlied sind literarische Fiktion, während die schicksalhafte Beziehung zwischen dem Theologen Abaelard und seiner Geliebten Héloise ein reales Verhältnis widerspiegelt, das allerdings Schriftsteller seit je her für ein eigenes Werk angeregt hat.
Bei dem italienischen Dichter und Denker Francesco Petrarca ist es besonders knifflig. Sein Werk steht zwischen Mittelalter, Humanismus und Renaissance. Und bei seiner Gedicht- oder Liedersammlung "Canzoniere" ist bis heute nicht entschieden, ob es die hier besungene Dame "Laura" in Wirklichkeit gegeben hat oder ob nicht alles eine gut inszenierte Fiktion des Autors ist.
Wahr oder nicht wahr?
Petrarca will nach eigenen Angaben Laura am 6. April 1327 während eines Kirchgangs in Avignon gesehen und sich sogleich in sie unsterblich verliebt haben. Der Name "Laura" lädt zu einigen Assoziationen ein: die "Aura" des Weiblichen; "auratus", also alles, was mit Gold zu tun hat; "Aurora", die Göttin der Morgenröte; schließlich der "poeta laureatus", der lorbeergekrönte Dichter, den Petrarca in ausgezeichneter Weise selbst darstellt.
Zitat
Gepriesen sei der Tag, der Mond, das Jahr,
die Jahr- und Tageszeit, der Augenblick,
das schöne Land, der Ort, da mein Geschick
sich unterwarf ein schönes Augenpaar.
Ein grausam-süßes Spiel
Diese Danksagung im "Canzoniere", die von Liebe und von Unterwerfung eines "schönen Augenpaars" spricht, ist aber nur der eine Teil der Geschichte. Der andre Teil erzählt ausführlich von höllischer Liebespein, der der Dichter Zeit seines Lebens ausgesetzt war.
Zitat
Hier sah ich freundlich sie, voll Hochmut hier,
bald schroff, bald weich, erbarmungslos und mild,
der Züchtigkeit und bald der Anmut Bild,
hier sanft, hier stolz, hier grausam wie ein Tier.
Die Liebe, von der Petrarca singt, ist tatsächlich ein grausam-süßes Spiel, bei dem die Geliebte Zeichen der Zuneigung und der Verweigerung, der Hingabe und der Ablehnung, des Einverständnisses und der Unnachgiebigkeit aussendet.
Der verschlossene Garten
Mit der Ikonographie mittelalterlicher Kunst gesprochen, pendelt die Gestalt von Petrarcas "Laura" zwischen dem "locus amoenus", dem lieblichen Ort, wo die Natur im Kleid des Frühlings und Sommers zum lustvollen Verweilen einlädt, und dem "hortus conclusus", dem verschlossenen Garten, in dem man zu keiner Zeit hineingelangen mag.
Das zweite Bild gehört in den Bereich der Mariendarstellung und somit überhöht Petrarca seine "Laura" ins Himmlische. Falls aber diese "Laura" tatsächlich einer realen Person entspricht, dann könnte sie Laura de Noves gewesen sein, die als verehelichte de Sade zu den Vorfahren des berüchtigten Marquis de Sade zählt. Wie auch immer, als Ehefrau sollte nach irdischem und christlichem Recht ihr schöner Körper - und Laura de Noves war eine schöne Frau! - ein "verschlossener Garten" für alle Männer bleiben, außer eben für ihren Gatten.
Sonette, Kanzone, Balladen und Madrigale
Der "Canzoniere" des Francesco Petrarca ist Vorbild und Anregung für die europäische Liebeslyrik seit je her gewesen. Es ist daher wenig erstaunlich, dass die Gedichte Petrarcas des Öfteren ins Deutsche übertragen wurden. Nun hat Karlheinz Stierle einen neuen Versuch gewagt und dabei eine kluge Auswahl der 366 Gedichte des "Canzoniere" getroffen, bestehend aus Sonetten, Kanzonen, Balladen und Madrigalen. Gerade die Madrigale Petrarcas haben Komponisten wie Franz Schubert, Franz Liszt oder Arnold Schönberg zur Vertonungen angeregt. Der erste von ihnen war Claudio Monteverdi in seinen "Madrigali Amorosi".
Karlheinz Stierle gehört zu den renommiertesten Romanisten unserer Zeit. Er hat Petrarca verschiedene Studien gewidmet, ist also ein Kenner der Materie. Stierle hat nun versucht, den Versbau und die Reimstruktur der Gedichte des "Canzoniere" in seiner Übersetzung beizubehalten. Das geht vielleicht manchmal auf Kosten der Verständlichkeit hinsichtlich eines Gegenwartsdeutsch, doch bleibt damit das unnachahmliche "Flair" der Petrarca'schen Poesie erhalten.
In Volkssprache geschrieben
Als heutiger Leser sollte man eines nicht vergessen: Petrarca hat bis knapp vor seinem Tod 1374 an der Form seines "Canzoniere", so wie sie auf uns gekommen ist, gearbeitet. Als "poeta laureatus" und als gebildeter Humanist war sein Sprachideal das Lateinische gewesen. Doch zugleich wusste er genau, dass das durch Bürgerkriege zerrissene und von ausländischen Mächten beherrschte Italien einer Volkssprache bedurfte, die wieder Identität stiften mochte. Deswegen schrieb er wie Dante selbst- und nationalbewusst auf Italienisch. Und die zweisprachige Ausgabe des "Canzoniere" gibt einen schönen Eindruck der lautmalerischen Kraft der Originaltexte wieder, auch wenn - wie fast alles von uns! – wir des Italienischen des 14. Jahrhunderts kaum mächtig sein werden.
Zitat
Nie lebte so wie ich ein Mensch in Freuden,
nie trauriger bei Tag, in langen Nächten,
so wie mein Schmerz, vermehrt sich meine Weise,
vom Herzen löst sich tränenvoll mein Reim,
wie einst von Hoffnung, leb ich jetzt von Klagen.
Vom Tod errettet einzig mich - der Tod.
Petrarcas Gedichtsammlung "Canzoniere" ist in zwei Teile geteilt: Der erste, umfangreichere behandelt des Dichters Liebe zu Laura, im Wechselspiel der Gefühle. Der zweite spielt nach Lauras Tod. Und wenn der Dichter schreibt "Vom Tod errettet einzig mich - der Tod", so meint er damit, dass durch den Tod der Geliebten er seine Klage erhebt. Und indem er dichterisch klagt, ist nicht nur der trauernde Sänger am Leben, sondern er selbst holt im Gesang seine tote Laura ins Leben zurück.
Hostie der Liebe
Zitat
Ihr Leben, ihren Tod sing ich allein,
mein Dichten schenkte ihr Unsterblichkeit.
Es soll die Welt sie lieben und erkennen.
Ihr Leben und ihr Tod – das ist des Dichters Brot, eine Hostie der Liebe, die er seinen Lesern weiterreicht. Diese Vorstellung findet sich schon in Gottfried von Straßburgs Versepos "Tristan und Isolde". Einerseits bleibt durch die Worte des Dichters die Erinnerung an die Geliebte erinnerlich, soll ewig erinnerlich sein. Andererseits findet so eine Überhöhung der Liebe ins Himmlische statt.
Nicht ohne Grund ruft Petrarca am Ende seines "Canzoniere" die himmlische Liebesmutter - die mater gloriosa - mater dolorosa - an und bittet um "gratia", Gnade. Gnade für eine Liebe, die allerdings so ganz und gar nicht in das Schema christlicher Häuslichkeit passt. Doch irgendwie muss wohl des Dichters Ruf erhört worden sein, denn die Laura-Gedichte haben Petrarca und seine Geliebte unsterblich gemacht. Und wer das nicht glauben will, der greife zur Neuübersetzung des "Canzoniere" von Karlheinz Stierle.
Service
Francesco Petrarca, "Canzoniere", aus dem Italienischen übersetzt von Karl-Heinz Stierle, Insel Verlag 2011
Insel Verlag - Canzoniere