Kleine "Sonate" von Gyrdir Elíasson

Am Sandfluss

"Zur Zeit habe ich nur Bäume im Sinn", sagt der Mann, dem die Natur Inspiration und der Wald Trost verschafft. Trotzdem, räumt er ein, "kenne ich mich mit Baumarten so gut wie gar nicht aus, und malen kann ich sie eigentlich auch nicht. Ich weiß nicht, was diese Sehnsucht zu bedeuten hat; vielleicht ist es der Versuch, mich durch das dunkle Gestrüpp meines eigenen Seelenlebens hindurchzufinden..."

Und an anderer Stelle erinnert er sich daran, dass er früher glaubte, Waldlandschaften würden ihn glücklich machen, und die Bäume könnten ihn "mit ihren grünen Zweigen umarmen und (....) von allem Seelenkummer heilen".

Einsamkeit und Schwermut

Ein Mann, der zu sich selbst finden will, ein Maler, der um sein Seelenheil ringt, ist der Protagonist und Ich-Erzähler von Gyrdir Elíassons kleinem Roman "Am Sandfluss", ein Künstler, der sich aus der Gesellschaft zurückgezogen hat. Er lebt am Rande eines Campingplatzes, dort hat er zwei Wohnwagen: einen größeren, in dem er liest und isst und schläft, und einen zweiten, der ihm als Atelier dient - ihm, der den russischen Maler Iwan Schischkin bewundert, "der das sichtbare und verborgene Leben der Bäume auf die weiße Fläche brachte, in unzähligen Gemälden..."

Gyrdir Elíasson hat schon immer die Landschaft fasziniert – und die Landschaftsmalerei. Schließlich war auch sein Vater Maler, auch sein Bruder ist einer. So sind auch in diesen Roman über Kunst und Künstlertum, über Einsamkeit, Schwermut und Seelenkummer viele persönliche Erfahrungen mit eingeflossen.

Maler der Bäume

Sein künstlerisches Exil, seine "selbstauferlegte Verbannung", wie er sein Leben im Wohnwagenpark zwischen lauter Fremden beschreibt, führt Elíassons Maler an den Sandfluss, die Sandá, einen flachen, sanft fließenden Fluss im Südwesten Islands, der sich durch Wald und Lavawüste windet und in einen Gletscherfluss mündet. Hier lebt er ein zurückgezogenes, eintöniges Leben, ohne Uhr, ohne Telefon, nur mit einem Radio mit schlechtem Empfang, macht lange Waldspaziergänge und naturalistisch gezeichnete Naturstudien.

Nichts passiert in dieser kleinen, wunderbaren Geschichte, fast nichts. Einmal ein schwaches Erdbeben, ein anderes Mal ein Brand. Hin und wieder taucht ein Waldaufseher auf, oder eine fremde, dunkelhaarige Frau, die der Mann in einem roten Regenmantel erspäht oder nackt im Fluss badend. Einmal kommt überraschend sein Sohn zu Besuch, doch die beiden haben sich nichts zu sagen, einmal ein potenzieller Käufer, doch der Maler der Bäume malt nicht für den Markt und weist den penetranten Eindringling zurück: Unverkäuflich sind die Bilder. Er beschäftigt sich mit seinen Träumen, liest Chagalls Autobiografie und van Goghs Briefe, zitiert Goethe und Rilke und lebt ein Leben wie Thoreaus Walden: genügsam, abgeschieden, ganz auf sich selbst konzentriert.

Mensch und Natur

Gyrdir Elíasson, der Meister der kleinen Form, der immer wieder das Verhältnis von Mensch und Natur zum Thema seiner Bücher machte, zählt zu den wichtigsten Schriftstellern Islands. Im vergangenen Jahr wurde er mit dem renommierten Literaturpreis des Nordischen Rates bedacht, der wichtigsten Auszeichnung für Autoren skandinavischer Länder.

Der 1961 in Reykjavik Geborene veröffentlichte 1983 seinen ersten Lyrikband, "Schwarzweiße Hosenträger", vier Jahre später sein Romandebüt, "Ein Eichhörnchen auf Wanderschaft", das 2011 in deutscher Übersetzung erschien im Verlag Walde + Graf, dem gleichen Verlag, der auch den "Sandfluss" auf Deutsch herausbrachte.

Elíassons umfangreiches Werk ist von einer Blues-Stimmung geprägt, von Beschreibungen der Einsamkeit, von atmosphärisch dichten Szenen und einem leisen, verhaltenen, lyrischen Ton. Er habe keine Lust, "sogenannte Konservenromane mit klar definiertem Thema und Handlung zu schreiben", hat Elíasson einmal gesagt, der, weil seine Geschichten so lakonisch, abgespeckt und kurz sind, auch als der "Anorexie-Autor Islands" bezeichnet wurde.

Für große, umfangreiche Romane, sagt Gyrdir Elíasson, habe er weder die Ausdauer, noch die Technik, er zieht die Novelle, die Kurzgeschichte und den kleinen Roman dem Epos vor, die Skizze dem opulenten Bild, die Sonate der Sinfonie. "Pastoralsonate" heißt "Am Sandfluss", dieser knapp 140 Seiten lange, mit kleinen Stillleben von Laura Jurt illustrierte Text über eine stille Landschaft und ein gestörtes Künstler-Innenleben, denn auch im Untertitel.

Hoher Preis für Kunst

"Karg und verweht wie dürres Ödland in einem schneelosen Winter" seien die zurückliegenden Jahre in seinem Leben gewesen, meint - ohne in selbstmitleidiges Lamentieren zu verfallen - der solipsistische Erzähler in "Am Sandfluss", eine Zeit, die wie "ein sandiger Fluss" gewesen sei. Er suchte die Einsamkeit – und litt an ihr. Er wollte mit sich ins Reine kommen – und wurde doch seine innere Unruhe, seine "seltsame Traurigkeit", seine Gedanken an "den eigenen Tod und das Ende der Welt", die ihn zu schaffen machten, nicht los, seinen "Seelenkummer", der nie wirklich erklärt oder begründet wird. Er wollte Bilder malen wie Schischkin – und weiß doch, dessen Talent nie erreichen zu können.

"Mir geht es wie den meisten, die sich dem verschrieben haben, was man Kunst nennt", sagt er, "irgendwo unterwegs kommen ihnen die Freunde abhanden, sie verlieren sich in sich selbst und glauben hartnäckig daran, dass Kunst den Mangel an menschlichen Begegnungen schon noch ausgleichen werde. Aber für jedes Kunstwerk, das sie schaffen, zahlen sie einen hohen Preis, und zwar in der Härtesten aller Währungen, der menschlichen Nähe."

"Ich zog in den Wald, weil ich den Wunsch hatte, mit Überlegung zu leben, dem eigentlichen, wirklichen Leben näherzutreten, zu sehen, ob ich nicht lernen konnte, was es zu lehren hatte, damit ich nicht, wenn es zum Sterben ginge, einsehen müsste, dass ich nicht gelebt hatte", heißt es bei Henry David Thoreau, den Elíasson in seinem meisterhaften kleinen Roman zitiert, dieser behutsam, eindringlich und in sich stimmig erzählten Einsamkeits-Etüde, der die Andeutung wichtiger ist als die Ausdeutung. Ob Elíassons Maler dem "eigentlichen, wirklichen Leben" tatsächlich näher gekommen ist, darf bezweifelt werden.

Am Ende wird er die Sandá malen, den Sandfluss, der sich durch die Landschaft windet, dann zu seinem Messer greifen und die Leinwand am Keilrahmen entlang aufschlitzen und das Bild herausschneiden. Der Rahmen bleibt leer auf der Staffelei zurück. "Es war mein letztes Bild", wird er sagen und, "unendlich müde", ein Bild nach dem anderen an sich vorüberziehen sehen, all seine ungemalten Bilder.

Service

Gyrdir Elíasson, "Am Sandfluss. Pastoralsonate", aus dem Isländischen übersetzt von Betty Wahl, Verlag Walde + Graf

Walde + Graf - Am Sandfluss