"Claustria" von Frankreichs Kritik hochgelobt

Affäre Fritzl wird Literatur

In Frankreich kommt ein Buch in die Läden, das sich mit einem Stück noch nicht so lang zurückliegender österreichischer Kriminalgeschichte beschäftigt. In "Claustria" - so der Titel - hat der französische Autor Regis Jauffret auf 550 Seiten den Fall Josef Fritzl literarisch aufgearbeitet.

Das Buch wurde von der französischen Literaturkritik in der vergangenen Woche fast durchgehend in höchsten Tönen gelobt, die Tageszeitung "Liberation" machte das Buch am Wochenende gar zu seiner Titelgeschichte.

Kultur aktuell, 12.01.2012

Elisabeth Fritzl heisst im Roman Angelika, auch Joseph Fritzls andere, mit seiner Tochter gezeugten Kinder tragen andere Namen, nur das Monster selbst behält seinen eigenen.

Jauffret lässt seinen Roman im Jahr 2055 beginnen. Das jüngste der Kellerkinder ist da ein 52-jähriger verlorener, hilfloser , zu keiner Beziehung fähiger Mann, der sich u.a. daran erinnert, wie er seinen bis zum Ende eitlen und dickköpfigen Vater als einziger im Altersheim besucht hat.

Erst nach und nach kommt man in die Gegenwart zurück, erlebt Josef Fritzl und dessen geltungsbedürftigen Anwalt - in Jauffrets Augen ein unfreiwillig komisches Paar wie Laurel und Hardy . Erst nach über 100 Seiten wird der Leser das erste Mal mitgenommen in den Keller von Amstetten, in die Gruft, die den Autor an Platons Höhlengleichnis erinnerte, in welchem angekettete Menschen von der Außenwelt nur Schatten wahrnehmen.

Der Autor war - unterstützt von einer gewissen Nina, einer französischsprechenden Österreicherin aus der, wie er sagt, gutbürgerlichen Gesellschaft, bei Fritzls Prozess, hat mit ihrer Unterstützung danach wochenlang recherchiert, die Orte der Handlung besucht, Protagonisten getroffen - Polizisten, die verschiedenen Psychiatern Fritzls oder die Akustikspezialisten. Diese Recherchen lässt Jauffret als Elemente in den Roman einfließen, dessen Niederschrift er rund zwei Jahre lang immer wieder verschoben hat.

Vor allem die Dauer des Weggeschlossenseins bereitete ihm Schwierigkeiten, man könne sich vorstellen, gefoltert oder von einer Kugel getötet zu werden, sagt er , aber 24 Jahre lebend unter der Erde sei undenkbar.

Österreich ist ziemlich nihilistisch

Jauffret hat in "Claustria" vor allem Stück für Stück den Alltag Elizabeth Fritzls im Keller, ihre Ängste, Entbehrungen und Begierden nach konstruiert . Die französische Kritik feiert das Resultat als das Ereignis der literarischen Rentrée zu Jahresbeginn, als atemberaubend , beachtenswert und gelungen, stellt es in eine Reihe mit Flauberts "Emma Bovary" , seit der man wisse, dass aus wahren Begebenheiten grosse Romane erwachsen könnten , spielt an auf Dostoievskis "Dämonen" oder Truman Capotes „ Kaltblütig“ aus dem Jahr 1966.

Über Österreich, das Land Joseph Fritzls, meint Jauffret: "Ich habe den Eindruck, es sich nicht besonders ernst und ist ein ziemlich nihilistisches Land."

Schon der zweite Kriminalfall

Der 57-Jährige, der in seinem Werk von Anfang an den ganz gewöhnlichen Wahnsinn, das Grausame und Schreckliche im Menschen auszuleuchten versuchte, er hat sich jetzt bereits zum zweiten Mal von einem Kriminalfall inspirieren lassen. Sein vorheriges Buch trägt den Titel "Streng", ist bisher als einziges auch auf deutsch erschienen und rollt den Fall des zum Freundeskreis von Nicolas Sarkozy gehörenden französischen Starbankers Edouard Stern wieder auf, der 2005 in Genf von seiner Mätresse bei einem sadomasochistischen Spiel erschossen wurde.