Erste Eindrücke

Kulturhauptstadt Maribor

In Maribor - Marburg - wurde am Wochenende das Kulturhauptstadtjahr 2012 eröffnet. Die Stadt gleich hinter der österreichischen Grenze hat dabei fünf kleinere slowenische Partnerstädte mit im Boot - wie Ptuj, Velenje oder Slovenj Gradec, das ehemalige Windischgrätz. Das Eröffnungswochenende konzentrierte sich aber weitgehend auf Maribor.

Ein ziemlich junges Programmteam, darunter Literaten wie der Suhrkamp-Autor Ales Steger, leitet das Kulturhauptstadtjahr. Eine Zeitlang firmierte Regisseur Tomaz Pandur als künstlerischer Leiter - er war mit seiner legendären Bühnenversion der "Göttlichen Komödie" seinerzeit zu den Salzburger Festspielen eingeladen. Pandur zog sich aber schon im Frühjahr 2011 zurück. Ob ihn politische Kleingeisterei vertrieb oder ob er für die 120.000-Einwohner-Stadt einfach zu groß und zu teuer dachte, oder beides, das sei dahingestellt. Dorothee Frank führt Tagebuch.

Kulturjournal, 16.01.2012

Service

Maribor 2012

Ankunft in Maribor am Freitag, dem 13. Nach Unglückstag sieht es hier nicht so wirklich aus. In der Sonne hat es gefühlte 17 Grad; am Platz vor dem kleinen Renaissance-Stadtschloss füllen sich mitten im Winter die Schanigärten. Maribor wäre ein altösterreichisches Museumsstück von einer Kleinstadt, aber zu der k.-und-k.-Patina gesellt sich die Rauheit einer postkommunistischen Arbeiterstadt, mit uncharmanten Baurelikten. Die hier einst bedeutende Schwerindustrie ist allerdings tot, viele sind noch immer ohne Job, die Wirtschaftskrise trifft diese Gegend Sloweniens am schlimmsten.

Maribor konnte sich gar nicht so putzig für das Kulturhauptstadtjahr herrichten wie manche ihrer Vorgängerinnen. Das auch, weil viele Altstadthäuser Gegenstand von Restitutionsverfahren sind. So lange die Besitzverhältnisse nicht geklärt werden, investiert niemand in die Fassaden.

Deutlich verringertes Budget

Freitagnachmittag im Büro des Kulturhauptstadt-Programmkoordinators Mitja Cander - er ist im zivilen Leben Essayist und Herausgeber von Literaturzeitschriften. Im Maribor-2012-Büro rauft er mit einem drastisch zusammengestrichenen Budget. Krisenbedingt sind nur 16 Millionen Programmgeld übrig geblieben - für Maribor und die fünf slowenischen Partnerstädte.

Von Anfang an wollte man die lebendigen jungen Szenen Maribors im Programm stark berücksichtigen - damit hat man auch gepunktet bei der Bewerbung um den Kulturhauptstadttitel. Jetzt in der Geldnot erweist sich dieses Konzept als hilfreich, weil es leichter finanzierbar ist als Großvorhaben.

Nicht groß und spektakulär, aber außergewöhnlich - Mitja Cander nennt als Beispiel das Vorhaben "Street Strip". Fassaden und Schaufenstern leer stehender Geschäfte in der Altstadt sollen mit einem überdimensionalen Comic bespielt werden - zum Thema Marburger Fußballfankultur.

Vernissage im Freien

Freitag früher Abend. Wo ist die bloß, die Ausstellungseröffnung? Auf dem Gehsteig palavert eine kleine Menschenschar, die meisten im Studentenalter. Man trinkt Glühwein und legt den Kopf in den Nacken. Die Ausstellung, das ist eine Projektion mit laufenden Bildern auf zwei Fensterscheiben einer gegenüber liegenden Wohnung. Das Fotomuseum Maribor hat zu einer Straßenvernissage geladen. So machen die Veranstalter darauf aufmerksam, dass es zwar eine bedeutende historische Fotosammlung in der Stadt gibt, aber noch keine Räume dafür.

Die Kulturhauptstadt-Organisatoren meinen es ernst und bewerben Termine wie die Straßenvernissage im offiziellen Programm.

Das Flair der 1980er

Freitag 20:00 Uhr - ab zur Hochkultur. Das Chorensemble Carmina Slovenica steht für zeitgenössisches vokales Theater. Die Produktion "Placebo" ist eine Art szenisches Konzert, basierend auf Pergolesis "Stabat Mater". Jungfrau und Mutter Maria als soziales Konstrukt, Kindestod und Mutterschmerz. Um solche Themen entwickelt sich ein allegorisches Spiel mit viel schwarzem Tüll, Reifröcken, Kerzen und Kirchenbänken. Man riecht förmlich den Staub der 1980er Jahre, als diese Bühnenästhetik noch halbwegs neu war.

Urbane Gemeinschaftsgärten

Samstag später Nachmittag. Im geräumigen Hof eines schön renovierten alten Stadthauses wird für geladene Gäste ein Biobuffet serviert. Die Caterer sind Bäuerinnen aus der Umgebung. Solches "Farmers' Catering" ist Teil einer der interessantesten Programmschienen von Maribor 2012.

"Urbane Furchen" nennt sich eine Reihe von Projekten, bei denen es um Wege aus Armut, schlechter Ernährung und sozialer Deklassierung geht. Die Sozialökologin Marta Gregorcic glüht geradezu vor Engagement. Slowenien versorge sich nur zu rund 35 Prozent selbst mit Obst und Gemüse, der Rest werde aus großindustrieller Billigproduktion importiert. Das Kleinbauernsterben, mit verschuldet durch die EU-Agrarpolitik, das gelte es aufzuhalten.

Die Kulturhauptstadt hat von der Kommune Maribor ein Grundstück für Gemeinschaftsgärten bekommen. So können sich mittellose Familien in Zukunft selbst mit Obst und Gemüse versorgen. Die bisher 100 Teilnehmer organisieren sich gerade in einer NGO. In Diskussion mit Agrarfachleuten und Gartenarchitekten werden die Gärten gemeinsam geplant. Es gibt spezielle Parzellen für Kinder und sogar für Behinderte, die mitmachen. Eröffnet wird im Juni. Dieses erste Beispiel eines urbanen Gemeinschaftsgartens in Slowenien soll weitere Projekte dieser Art anregen.

Andere Teile des "Urbane Furchen"-Programms dienen dazu, die Lebensbedingungen etwa von Roma-Gemeinschaften zu verbessern - durch Hilfe zur Selbsthilfe. Arbeitslose Roma werden als Projektmanager geschult, kürzlich konnte der erste von ihnen angestellt werden. Die oft eingemahnte Nachhaltigkeit bei Kulturhauptstadt-Programmen - hier ist sie verwirklicht. Dass sich mit solchen Projekten keine großen Besucherströme generieren lassen, steht auf einem anderen Blatt.

Attraktionen erst im Laufe des Jahres

Aber das Kulturhauptstadtjahr hat ja erst begonnen. Mit einer nicht gerade berauschenden Eröffnungszeremonie Samstagnacht. Die echten Attraktionen für Besucher von außen, die werden wohl noch kommen. Zum Beispiel, wenn Anfang März die Ausstellung "Die Deutschen und Maribor" eröffnet. Vom mehrheitlich deutschen Marburg vor dem Ersten Weltkrieg über die brutale Hitler-Okkupation bis zu den Massakern auf beiden Seiten und der Vertreibung der deutsch Sprechenden - das heikle Thema soll in aller Offenheit auf den Tisch kommen. Maribors berühmter Schriftstellersohn Drago Jancar ist froh darüber. Nein, es sei kein Tabuthema mehr, aber es werde auch nicht gern aufgegriffen - schon weil es eine komplizierte Geschichte ist.

Prominente internationale Namen wird es bei Maribor 2012 nicht in üppigen Mengen, aber doch auch geben. Tomaz Pandur zeigt eine "Krieg und Frieden"-Adaption, Jan Fabre gastiert. Künstler und Denker wie Rebecca Horn, Boris Groys oder Gari Kasparow leiten Think Tanks zur europäischen Zukunft.

Auf Eis liegen die erhofften neuen Kulturbauten für Maribor: etwa eine Galerie für zeitgenössische Kunst und eine Bibliothek. Es besteht noch Hoffnung auf Realisierung, aber eher erst nach dem Kulturhauptstadtjahr.