Ausstellung über NS-Gräuel in Berlin

Im Gedenken der Kinder

Ärzte werden oft als die "Götter in Weiß" bezeichnet. In der Zeit des Dritten Reichs hatte diese Bezeichnung eine ganz andere Bedeutung: viele Ärzte sahen sich tatsächlich als Götter, die über Leben und Tod entschieden. Immer mehr Ärztegesellschaften arbeiten diese Vergangenheit in ihrem jeweiligen Fachgebiet auf, so auch die Kinder- und Jugendärzte.

Die Ergebnisse werden in einer neuen Ausstellung in Berlin in der Stiftung "Topographie des Terrors" gezeigt - einem Dokumentationszentrum zur Aufarbeitung des Terrors in der NS-Zeit. Zu sehen sind in der Ausstellung mit dem Titel "Im Gedenken der Kinder" die Täter, die mehr als 10.000 Kinder als lebensunwert eingestuft haben. Vermittelt werden diese grauenhaften Taten an Einzelschicksalen.

Kultur aktuell, 19.01.2012

Günther E. ist neun Jahre alt, als er in die Landesanstalt Brandenburg-Görden überführt wird. Er gilt zu diesem Zeitpunkt als geistig zurückgeblieben. Da er in den letzten Jahren laut diverser Ärztegutachten keinen Fortschritt in seiner geistigen Entwicklung gemacht hat, wird er 1938 der Abteilung für Schwachsinnige zugewiesen.

So wie Günther E. ergeht es zu diesem Zeitpunkt Tausenden von Kindern mit einer Behinderung. Diese Opfer werden in der Ausstellung "Im Gedenken der Kinder" gezeigt. Aber mindestens ebenso wichtig ist dem Kurator der Ausstellung, dem Historiker Thomas Beddies, zu vermitteln, wo die Verbrechen stattgefunden haben und vor allem, wer sie begangen hat. So seien in der Ausstellung nicht alle Kinderdamen, aber die Täternamen "im Klartext" vermerkt.

Die "Aktion T4"

Viele dieser Ärzte - eine genaue Zahl lässt sich nicht erforschen - haben klar aus ideologischen Gründen gequält, Experimente durchgeführt, getötet.

"Die deutsche Ärzteschaft ist nach dem Zweiten Weltkrieg davon ausgegangen, das waren Einzeltäter, die im Exzess diese Taten vollbracht haben, damit haben wir nichts zu tun", so Beddies. "Das stimmt eben so nicht, sondern es gab Strukturen, in die diese Kinder hineingeraten sind, Absprachen, Forschungsinteressen und Karrieredenken."

Gehandelt haben sie im Rahmen der Aktion T4 - dem geheimen Euthanasie-Programm. T4 erhielt den Namen nach der Adresse der zentralen Dienststelle, von der aus der Patientenmord geplant und gesteuert wurde, der Tiergartenstraße 4. Rund 100 Personen in sechs Abteilungen waren damit beschäftigt, die Krankenmorde zu koordinieren, zu verwalten und abzuwickeln.

So auch bei Günter E. In der Berliner Zentraldienststelle T4 wurde er als nicht beschulungsfähig eingestuft, Besuch erhalte er keinen. Aber nicht weil die Eltern es nicht wollten, sondern weil sie mit falschen Informationen über ihren Sohn getäuscht wurden.

"Kinderfachabteilungen" am Spiegelgrund

Derartige Fälle hat es auch in Wien gegeben, erklärt Kurator Beddies, daher wird in der Ausstellung auch der Spiegelgrund genannt: "Es gab sogenannte 'Kinderfachabteilungen', also Tötungseinrichtungen für Kinder. Wir haben Wien als Beispiel genommen, weil im Wien zum einen Tuberkulose-Impfversuche an den Kindern stattgefunden haben, bis hin dazu, dass Kontrollkinder bewusst mit Tuberkulose infiziert wurden."

Und auch Heinrich Gross wird gezeigt, dessen Fall erst vor wenigen Jahren in Österreich für Aufsehen gesorgt hat. Kurator Beddies will mit der Ausstellung vor allem auch internationales Publikum ansprechen - die erklärenden Texte wurden ins Englische Übersetzt und man erhofft sich, neue Erkenntnisse zu gewinnen.

Günther E. kann seine Geschichte nicht mehr erzählen. "Wird heute auf Verfügung des Reichsverteidigungskommissars in eine andere Anstalt verlegt", heißt es im letzten Eintrag der T4 Zentraldienststelle. Die andere Anstalt hieß Gaskammer im Brandenburger Zuchthaus.

Textfassung: Ruth Halle

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Topographie des Terrors - Im Gedenken der Kinder