Theaterstück über Vladimir Neklyaev

Unter Beobachtung

"Baltic Circle" nennt sich ein internationales Theaterfestival in Helsinki. Schwerpunkt ist die Performance- und experimentelle Theaterszene jener Länder, die an die Ostsee angrenzen. Fünf ausgewählte Produktionen der vergangenen Jahre sind derzeit im brut Wien zu sehen.

Am Dienstag, 24. Jänner 2012, ist die Moskauer Gruppe teatr.doc an der Reihe, die durch ihre Arbeit mit dokumentarischem Material auch international bereits Aufmerksamkeit erregt hat. Die Moskauer zeigen das Stück "Two in your house". Darin geht es um den Dichter und Politiker Vladimir Neklyaev, der im Dezember 2010 in Weißrussland für das Präsidentschaftsamt kandidiert hat. Doch Neklayev wurde zunächst entführt und dann für zwei Jahre unter Hausarrest gestellt. Ausgehend von Interviews mit Neklyaev und anderen beteiligten Personen haben teatr.doc aus dieser Begebenheit ein Stück gemacht.

Kulturjournal, 24.01.2012

Vladimir Neklyaev, ein Mann, der es mit dem weißrussischen Regime aufnehmen wollte, wird nun in seinem eigenen Haus festgehalten; er und seine Frau Olga werden ständig von zwei KGB-Mitarbeitern bewacht. Vier Menschen in einer Zweizimmerwohnung - diese angespannte, klaustrophobische Situation thematisieren teatr.doc im Stück "Two in your house".

Farceähnliche Situationen

Ausgegangen war man von dem Wunsch, die Vorgänge in Weißrussland nach den Wahlen zu thematisieren. Man führte ein Gespräch mit Eva Neklyaeva, der Tochter des gefangen gehaltenen Politikers - sie ist auch die Leiterin des Baltic Circle Festivals in Helsinki, wo das Stück im vergangenen November uraufgeführt wurde.

Bald nach diesem Erstgespräch fuhr ein kleines Team des Ensembles teatr.doc nach Minsk, um weitere Interviews zu führen - mit Neklyaev, seinen Wahlkampfhelfern, mit seiner Frau Olga und sogar mit KGB-Agenten, die bei anderen Hausarresten bereits als Bewacher eingesetzt waren. Am Ende habe man eine Überfülle an Material gehabt, und erst zu diesem Zeitpunkt sei klar geworden, wo die Akzente des Stücks liegen würden, erklärt die Autorin der Produktion "Two in your House", Elena Gremina:

"Ursprünglich dachte ich, dass es ein sehr aufgeladenes, dramatisches Stück wird. Diese Perspektive wurde durch die Interviews ein wenig verschoben. Denn mit der Zeit bemerkte ich, dass das Material auch eine Reihe an komischen, farceähnlichen Situationen hergibt. Das ist ja das Schöne am Dokumentartheater: Man stößt immer auf Unerwartetes."

Blues für Blues-Hasser

Es stellte sich heraus, dass Vladimir Neklyaevs Frau Olga in dieser Konstellation eine wichtigere Rolle spielte als zuerst vermutet. Denn während Vladimir Interesse an seinen Bewachern zeigt und mehr über ihre Beweggründe herausfinden will, ist es Olga, die den KGB-Agenten das Leben schwer macht.

So schaut sie etwa eine Fernsehserie, die sie eigentlich nicht interessiert, nur um die zwei Männer daran zu hindern, sich ein Fußballmatch anzusehen. Ein anderes Mal dreht sie Bluesmusik auf, im vollen Wissen, dass ihre Bewacher diese Musik nicht ausstehen können. An sich dramatische Konflikte enden in derart grotesk-witzigen Situationen.

Keine politische Position

Dieser offene, explorative Umgang mit dokumentarischem Material ist charakteristisch für die Arbeit von teatr.doc. Man will keine direkte politische Position vertreten, vielmehr stellt sich die Theatercrew die Frage, welche Ausschnitte der Wirklichkeit sich für die Bühne verwerten lassen. Daraus ein politisches Statement abzulesen, bleibt dem Publikum überlassen.

"Wir hatten am Anfang die Idee des Raumes", sagt Autorin Elena Gremina. "Ich halte es für das vielleicht Wichtigste im Theater, von einem Raum auszugehen. Das Material hat dann neue Aspekte geliefert - etwa zur Frage: Wie äußert sich weiblicher Protest im Vergleich zu männlichem? Oder wie würde sich jeder von uns verhalten, wenn er sich in seinem eigenen Haus bewegt, aber unter ständiger Beobachtung steht?"

Freilich ist das Schicksal des Vladimir Neklyaev ein politisch höchst brisantes Thema. In die weißrussische Hauptstadt Minsk zu fahren und hier nachzurecherchieren, barg ein gewisses Risiko. Diese Aufgabe übernahmen Ekaterina Bondarenko und zwei weitere Mitglieder von teatr.doc. Sie seien während ihres Aufenthalts in Minsk unter ständiger Beobachtung gestanden, erzählt Bondarenko.

Service

Ö1 Club-Mitglieder bekommen im brut ermäßigten Eintritt.

Teatr.doc (russisch)
Brut Wien - Two in your House