Pinocchio verliert seine Illusionen

Der Junge mit dem Fahrrad

Gesellschaftliche Außenseiter stehen immer wieder im Mittelpunkt in den Filmen des belgischen Regie-Duos Jean-Pierre und Luc Dardenne, so auch im neuesten Werk des Brüderpaars, "Der Junge mit dem Fahrrad".

Kultur aktuell, 07.02.2012

Der 12-jährige Cyrill (Thomas Doret) versteht die Welt nicht mehr, kann nicht glauben, dass ihn sein Vater verlassen hat. Einfach so. Der Bub ist beharrlich, findet den Vater wieder, um ihn endgültig zu verlieren. Denn der Vater (Jéremie Renir) will nichts mehr von ihm wissen.

Doch wo einerseits ein Verlust steht, stellt sich andererseits ein Gewinn ein: eine Art Ersatzmutter, eine Friseurin (Cecile de France), die sich um Cyrill kümmert. Doch bis beide wirklich zueinanderfinden, dauert es einen ganzen Film lang, stets zwischen Bangen und Hoffnung.

Rebellisches Problemkind

Einerseits Cyrill: autistisch, einsam, und aggressiv, ein Einzelgänger und rebellisches Problemkind, das unter den Folgen seiner sozialen Entwurzelung leidet. Andererseits: ebenfalls eine Suchende. "Der Film ist eine Art Märchen mit einem Wald, seinen Versuchungen, aber eben auch einer guten Fee", meint Co-Regisseur Luc Dardenne. Und weiter: "Wie Pinocchio oder Rotkäppchen muss auch Cyrill Zerreißproben erleben, um seine Illusionen zu verlieren".

Verschlungene Familienbeziehungen

Da sind die widrigen Umstände eines Erziehungsheims, ein Jugendlicher, der Cyrill das Fahrrad stehlen will, vor allem aber versucht ein Dealer den Buben zu einem Raubüberfall zu überreden, der dann ohnehin missglückt. Familienbeziehungen und welche verschlungenen Wege sie nehmen können, welche Abgründe sie erreichen, das sind beständige Konstanten in den sozialrealistischen Existenzdramen der Brüder Dardenne, die auch diesmal auf psychologische Fundierungen und moralische Beurteilungen ihrer Figuren verzichten.

Optimistischer Grundton

Der versöhnliche, fast optimistische Ton allerdings ist neu im Werk der Dardennes, die Erkenntnis, dass man durch Lerneffekte doch besser durchs Leben kommt, und dass Verantwortung zu übernehmen durchaus seine Vorteile hat. Lichte Momente, und das nicht nur, weil diese Dardenne-Geschichte zur Abwechslung einmal im Sommer spielt.