Kunst als Experiment
Antoni Tapies gestorben
Der spanische Maler Antoni Tàpies ist im Alter von 88 Jahren in seiner Geburtsstadt Barcelona verstorben. Tàpies war einer der bedeutendsten Künstler seines Landes, einer der wichtigsten abstrakten Maler in der zweiten Hälfte des 20. Jahrhunderts und ein engagierter Kämpfer für Demokratie während der Franco-Diktatur.
8. April 2017, 21:58
Mittagsjournal, 07.02.2012
Nicholas Buschschlüter
Den Künstler Antoni Tapies einzuordnen war nie ganz einfach. Ungegenständlich war der experimentierfreudige Spanier, das ist sicher. Als abstrakter Künstler sah er sich jedoch nicht: "Ich empfinde mich als Realist, denn mein gesamtes Werk steht für den Versuch, die Wirklichkeit zu begreifen", sagte er einmal. Die Wirklichkeit lieferte dem Maler und Objektkünstler auch das Material seiner Arbeiten: Holzklötze und Stofffetzen, Papier und Karton, Kleider und Haushaltsgegenstände wurden eingearbeitet, geometrische sowie mathematische Zeichen, Kreuze und Buchstaben überzogen seine Bilder. Am Montag, 6. Februar 2012, ist der Katalane, der seit vielen Jahren zu den bedeutendsten Künstlern der Gegenwart zählte, in seiner Wohnung in Barcelona gestorben.
Ein "einfacher Amateur"
Schon als Kind hatte der am 13. Dezember 1923 in Barcelona Geborene Lust am künstlerischen Experiment verspürt, erzählte er gerne: "In unserer Küche hatten wir eine Art Sand, um die Kochtöpfe blank zu polieren. Eines Tages kam ich auf die Idee, ihn mit Klebstoff zu vermischen."
Im Spanischen Bürgerkrieg verbrachte er eine von einem Lungenleiden überschattete Kindheit. Im Sanatorium begann sich der Autodidakt mit Musik, Literatur und Zeichnungen zu beschäftigen. Später studierte der Rechtsanwalts-Sohn Rechtswissenschaft, wandte sich nach Abbruch seines Studiums jedoch "als einfacher Amateur" der Kunst zu.
Material- und Mauerbilder
Surrealismus und Dadaismus beeinflussten ihn ebenso wie Art Brut. Erde, Leim und Marmorstaub bilden die Grundlage vieler der reliefartigen und oftmals düsteren Material- und Mauerbilder von Tapies, an denen er jahrzehntelang unermüdlich arbeitete: "Im Grunde habe ich in meinem Leben nur ein einziges Bild mit unzähligen Variationen gemalt", gestand er. "Ich arbeite nach dem Zufallsprinzip. Wenn ich ins Atelier gehe, weiß ich nicht, was dabei herauskommt."
Mit dem Dichter Joan Brossa und anderen Künstlern gründete er 1948 die Gruppe "Dau al Set" (Würfel mit sieben Augen). Es war die erste künstlerisch-literarische Avantgardebewegung, die sich im Franco-Staat hervorwagte. Wegen seiner kritischen Haltung zum Regime saß er 1966 im Gefängnis. "Als Künstler hat man auch eine gesellschaftliche Verantwortung", beschrieb Tapies einst seine politische Überzeugung.
Explizit politisch waren seine dem Informel zugerechneten Arbeiten allerdings nie. Dafür ließ er später fernöstliche Mystik einfließen und setzte sich intensiv mit dem Taoismus und dem Zen-Buddhismus auseinander, was seinen meist in Schwarz, Grau oder Ocker gehaltenen Bildern die Aura des Geheimnisvollen verlieh.
In zahlreichen Museen vertreten
Tapies' Werk war mehrfach auf der documenta in Kassel und der Biennale in Venedig vertreten und ist Bestandteil unzähliger Museumskollektionen in aller Welt - etwa auch im Essl Museum in Klosterneuburg, wo Arbeiten von Tapies auch bis vor kurzem Teil der Ausstellung "Schönheit und Vergänglichkeit" waren. In Österreich waren ihm 1968 im Museum des 20. Jahrhunderts und 1986 im Wiener Künstlerhaus große Ausstellungen gewidmet. 1994 wurde Tapies mit dem Herbert-Boeckl-Preis ausgezeichnet, in Spanien unter anderem mit dem Prinz-von-Asturien-Preis.
Vor knapp zwei Jahren verlieh der spanische König Juan Carlos ihm den Adelstitel eines Markgrafen für seine "Beiträge zu den plastischen Künsten in Spanien und in aller Welt".
Gesundheitlich war Tapies seit Jahren angeschlagen. Im Jänner konnte er nicht zu einer Ausstellung seiner Werke nach Madrid reisen. Dennoch soll er bis kurz vor seinem Tod gearbeitet haben.