Ein Eis-Palast im Hintertuxer Gletscher

Ausflug in die Gletscherspalte

Die Vorstellung, in 3250 Metern Seehöhe während eines Schitages in einer Gletscherspalte zu landen, klingt nicht besonders verlockend. Am Hintertuxer Gletscher jedoch machen viele Schigäste freiwillig einen Ausflug in den "Schnee von gestern".

Eisig bläst der Wind den Schifahrern entgegen, nachdem sie die Gondeln des Gletscherbusses drei auf den Hintertuxer Gletscher verlassen haben. Die minus 22 Grad Celsius unmittelbar neben dem Gipfel "Gefrorene Wand" in 3250 Meter Seehöhe fühlen sich auf unbedeckter Gesichtshaut an wie Nadelstiche. Doch anstatt schnell ins - etwas wärmere - Tal hinunter zu flitzen, gehen einige Schitouristen eilig zu einem Baucontainer, der wenige Meter von der Bergstation entfernt halb im Schnee versunken neben der Piste steht. Drinnen wartet der Bergführer Roman Erler, der die Gäste gleich zu einem besonderen Ort führen wird: in eine Gletscherspalte.

"Normalerweise ist es ja umgekehrt", meint er lächelnd zur Begrüßung, "wenn jemand im Gletscher drinnen ist schauen wir, dass wir ihn möglichst wieder rausbringen." Ausgerüstet mit Helmen stapfen die Gäste in ihren schweren Schischuhen etwa 200 Meter durch hochalpines Gelände über den knirschenden Schnee bis zum unscheinbaren Eingang der Höhle.

Die Dynamik des Eises

Im August 2007 hat Roman Erler die gewaltige Gletscherspalte gefunden. "Der Zufall hatte seine Hand im Spiel" sagt der Tiroler. Er hat den schmalen Spalt im Eis eher beiläufig während einer sommerlichen Bergtour entdeckt und erstmals bestiegen. Unter der Oberfläche wurde der oben nur schmale Spalt schnell bis zu vier Meter breit. Neugierig wurde der Bergführer, weil sich die Spalte unter die nahe Schipiste zog.

Roman Erler war von Anfang an fasziniert. Mit Kollegen hat er das weitläufige System vermessen und versucht seither, die Dynamik des "ewigen" Eises zu verstehen. Im November 2008 führte er dann erstmals Besucher in die geheimnisvolle Eiswelt. Roman Erler verbringt seither sehr viel Zeit in "seiner" Gletscherspalte. In mühsamer Kleinarbeit verlegte er mit Helfern Stromleitungen, er schaffte Leitern, Seile, Beleuchtungskörper heran, durchbrach Eis und Schnee, sodass die verborgene Eiswelt heute für Jung und Alt begehbar ist. Der eisige, teilweise mit Gummimatten ausgelegte Pfad führt die Besucher bis zu 25 Meter tief ins Eis unter der Schipiste, vorbei an geheimnisvollen Eisgebilden und glitzernden Eiskristallen.

Immer wieder stießen Roman Erler und sein Team bei ihren Grabungsarbeiten auf Gegenstände, die im Lauf der Zeit von der Eisoberfläche - der Schipiste - nach unten "wanderten": Zigarettenstummel, Aufkleber, Schnüre und eine Cola-Dose aus dem Jahr 1992 tauchten auf.

Unterwegs im Eislabyrinth

Sichtlich beeindruckt zwängen sich die Besucher mit ihren Schischuhen die schmalen Gänge entlang, steigen über die festgezurrten Leitern immer tiefer ins Eislabyrinth. Unterwegs bestaunt man riesige Zapfen und andere bizarre Eisformationen, die sich durch die ständigen Verschiebungen der Eisschichten gebildet haben. Sogar ein 30 Meter tiefer See befindet sich im Eis, der bereits von Zillertaler Tauchern erforscht wurde. Das System ist in ständiger Bewegung erklärt Roman Erler, etwa 25 cm pro Jahr bewegt sich die oberste Gletscherschicht.

Dass "Schnee von gestern" durchaus spannend sein kann, das erfährt man während einer Führung mit Roman Erler durch das "ewige Eis". Jede Schneeflocke wird hier irgendwann zu Eis und bewegt sich innerhalb der Gletscher von oben - dem Nährgebiet - nach unten ins Zehrgebiet. Dort befindet sich das älteste Eis am Hintertuxer Gletscher: Es ist bis zu 1000 Jahre alt.

Nicht nur Schifahrer und Wanderer besuchen den Eispalast. Auch Wissenschaftler sind von dem Projekt angetan: Gletscherforscher, Mikrobiologen und Geologen sind regelmäßig bei Roman Erler im "Natur Eis Palast" zu Gast.

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Hintertuxer Gletscher - Natur Eis Palast

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