Abrechnung bei den Parlamentswahlen

Slowakei: "Gorilla" schürt Bürgerfrust

Überschattet von einem riesigen Korruptionsskandal wählt die Slowakei heute ein neues Parlament. Der erst seit 2010 regierenden Koalition aus vier bürgerlichen Parteien droht laut Umfragen eine vernichtende Niederlage. Seit Wochen gehen tausende Menschen auf die Straße, um ihrem Unmut wegen der so genannten "Gorilla-Affäre" Luft zu machen.

Mittagsjournal, 10.3.2012

Karin Koller

Geheimdienstprotokolle sollen Korruption belegen

Zu Hunderten stehen sie auf dem Freiheitsplatz vor dem Sitz der Regierung: Junge und alte Menschen, ausgerüstet mit Töpfen und Kochlöffeln, um möglichst lautstark auf sich aufmerksam zu machen. Einige tragen Transparente mit der Aufschrift "Gorillas zurück in den Käfig".

Der Affe ist zum Symbol für einen Skandal geworden, der die slowakische Politik vor der Parlamentswahl am 10. März gehörig durcheinander wirbelt. "Gorilla" heißt ein angebliches Abhörprotokoll des slowakischen Geheimdienstes SIS, das Korruption im großen Stil belegen soll.

Unter fünf Prozent für Regierungspartei

Geheimdienstprotokolle aus den Jahren 2005 und 2006 sollen belegen, wie sehr Politiker bei den großen Privatisierungen staatlicher Unternehmen damals die Hand aufhielten. Dem Staat soll dabei ein Schaden von hunderten Millionen Euro entstanden sein.

Im Zentrum der Vorwürfe steht die vom damaligen Regierungschef und heutigen Außenminister Mikulas Dzurinda angeführte größte Regierungspartei, die christlich-liberale SDKU. Nach Meinungsumfragen droht die SDKU deshalb sogar unter die Fünf-Prozent-Hürde zu rutschen und würde damit nicht wieder ins Parlament einziehen.

"Wähler frustriert und enttäuscht"

Die Menschen hier sind jedenfalls erbost. "Ich will, ich muss ein Signal an die da oben senden", so ein junger Mann. "Wir brauchen eine Stärkung der direkten Demokratie, damit wir den Politikern besser auf die Finger schauen können." Viele hier finden, dass angesichts eines solchen Korruptionsskandals gar nicht erst gewählt werden sollte. Zuerst müsse sauber gemacht werden, sagen sie und zeigen auf einen Besen.

"Die Menschen sind frustriert und von den Politikern enttäuscht", meint die Soziologin Olga Gyarfasova vom Institut für Öffentliche Angelegenheiten in Bratislava. "Bei diesen Demonstrationen entlädt sich aber nicht nur die Wut auf die Korruption. Viele andere Ängste der Menschen, wie etwa über die hohe Arbeitslosigkeit von rund 14 Prozent, kommen da heraus“, sagt Gyarfasova. Und das Wirtschaftswachstum würde vor allem der Hauptstadt Bratislava zugutekommen, so die Soziologin. "Die Provinzen gehen leer aus."

Sozialdemokraten in Favoritenrolle

Alle 26 für die Parlamentswahlen kandidierenden Parteien, sogar die von den "Gorilla"-Protokollen belasteten Regierungsparteien, versuchen sich nun den Anstrich von Kämpfern gegen Korruption und für Transparenz zu geben. Manche erst für die Wahl neu gegründete Kleinparteien hoffen, von der Verärgerung über die etablierten Parteien zu profitieren.

Der große Wahlfavorit aber ist der erst 47 Jahre alte sozialdemokratische Oppositionsführer Robert Fico. Der mit Abstand beliebteste Politiker des Landes spricht am überzeugendsten jene Wählermassen an, die vom slowakischen Wirtschaftsboom nicht profitierten. Immerhin hat die Slowakei mit 14 Prozent eine der höchsten Arbeitslosenquoten in Europa. Das Durchschnittseinkommen in dem Euro-Land liegt bei nur 800 Euro brutto pro Monat

Streit um Rettungsschirm vergessen

Völlig in den Hintergrund geraten ist im Wahlkampf der eigentliche Anlass für die vorgezogene Parlamentswahl: Die bisherige Koalition aus vier bürgerlichen Parteien war im Oktober am Streit um den Euro-Rettungsschirm EFSF zerbrochen. Regierungschefin Iveta Radicova hatte die Parlamentsabstimmung über die EFSF-Ausweitung am 11. Oktober mit der Vertrauensfrage verknüpft und verloren.

Morgenjournal, 10.3.2012

Karin Koller aus Bratislawa