Bücher aus Osteuropa

Swetlana Alexijewitsch in Leipzig

Belarus ist ein Schandfleck für Europa. Mit deutlichen Worten hatte der österreichische Autor und Übersetzer Martin Pollack vor genau einem Jahr in Leipzig vor großem Publikum Repressionen und Willkür des weißrussischen Regimes angeprangert, als er im Gewandhaus den Buchpreis für Europäische Verständigung entgegennahm.

Und er hat auch die Ignoranz eines freien und wohlhabenden Europas kritisiert, das sich nicht dafür interessiert, was im Osten des Kontinents vorgeht. Jetzt hat Pollack als Kurator der neuen Programmschiene "tranzyt" auf der Leipziger Buchmesse der Literatur dieser Region einen großen Auftritt verschafft. Mit dabei: die Grand Dame der weißrussischen Literatur, Swetlana Alexijewitsch.

Mittagsjournal, 17.03.2012

Swetlana Alexijewitsch gilt als wichtigste intellektuelle Stimme Weißrusslands. Als Kritikerin des Regimes von Alexander Lukaschenko war und ist sie immer wieder Repressionen ausgesetzt.

"Meine Bücher waren früher Teil des Lehrplans", erzählt sie, "jetzt sind sie aus dem Programm gestrichen und seit Lukaschenko ans der Macht ist, wird nichts Neues mehr veröffentlicht. Meinen Namen darf man in der Öffentlichkeit nicht mehr aussprechen. Eine Studentin, die bei der Aufnahmeprüfung meine Bücher erwähnt hat, ist durchgefallen. Ich werde als Verräterin der Heimat beschimpft, die auf Kosten der USA lebt."

Bücher über das "Rote Imperium"

Bekannt wurde Swetlana Alexijewitsch durch ihre dokumentarische Prosa - etwa über die Reaktorkatastrophe von Tschernobyl, über das Leid der russischen Frauen und Kinder im Zweiten Weltkrieg und über den Krieg in Afghanistan, Bücher über das "Rote Imperium", wie sie sagt. Hunderte von Interviews hat Swetlana Alexijewitsch für jedes dieser Bücher geführt. "Den Menschen, die in der Geschichte wie Sand verschwinden" will sie eine Stimme geben:

"Der Zeitzeuge, der Augenzeuge, ist die wichtigste Person für meine Literatur. Die Aufgabe des Autors ist, die Menschen dazu zu bringen, die Wahrheit über sich zu erzählen. Wir müssen aus der Vergangenheit lernen, wie der Mensch damit umgeht, wenn er meint, das Recht zu haben, einen anderen zu töten, warum der Krieg als etwas Normales gilt. Ich beschäftige mich nicht mit bloßen Tatsachen, ich beschäftige mich mit Menschen und ihren Erinnerungen."

Offene Kritik unerwünscht

Derzeit arbeitet Swetlana Alexijewitsch an dem Roman "Secon Hand Zeit" über "das Ende des Roten Menschen". Wie das Rote Imperium zerfallen ist und was mit den Menschen passiert ist. "Nach elf Jahren im Ausland bin ich vor kurzem nach Weißrussland zurückgekehrt, auch wenn sich viele darüber gewundert haben", erzählt Alexijewitsch. "Ich muss den Menschen in meiner Heimat zuhören. Aber ich habe Angst. Wenn ich offen Kritik äußere, dann werde ich wohl angeklagt werden. In meiner Heimat hat die Angst die Bevölkerung gefesselt."

Die Hälfte der Bevölkerung stehe noch immer hinter Lukaschenko, sagt Swetlana Alexijewitsch, die Opposition sei total zerstritten, sie existiere praktisch nicht und "unsere besten Leute sitzen noch immer im Gefängnis oder sie sind nach langer Haft gesundheitlich geschwächt. Die Menschen haben keine innere Kraft mehr, um selbst etwas zu unternehmen."

Westliche Länder sollten nicht nur drohen, und auch diplomatische Einschüchterungsversuche, wie eben im Februar der Rückruf der EU-Botschafter aus Minsk, das bringe gar nichts, wirksam wären einzig gezielte wirtschaftliche Sanktionen.

Im Herbst wird das neue Buch Swetlana Alexijewitsch erscheinen, wenn auch nicht in Belarus, so doch in Polen und Schweden, in Kroatien und Frankreich und im deutschen Sprachraum.

Textfassung: Ruth Halle