Etwas, das aufgeschrieben werden will

Cornelia Travnicek trifft auf Kunst

"Ich glaube, dass es das Schönste ist, der Kunst im Alltag zu begegnen. Wenn man Kunst nur in ein Museum wegsperrt, dann muss immer der Mensch zur Kunst hingehen, aber es wäre doch sehr schön, wenn die Kunst den Menschen einfach trifft!" (Cornelia Travnicek)

Vor Jahren unternahm die 1987 in St. Pölten geborene Schriftstellerin Cornelia Travnicek einen Spaziergang durch Wien, da "traf sie die Kunst einfach" - mitten auf der Straße: und zwar in Gestalt der Zettelpoesie des Alltagsdichters Helmut Seethaler, der seine Verse seit vielen Jahren unbeirrbar an Bäume, Zäune und Hausmauern klebt.

"Ich komme ja eigentlich vom Land, und meine erste Begegnung mit dem Wiener Zettelpoeten war für mich als Liebhaberin des geschriebenen Wortes faszinierend. Da bietet dir auf einmal jemand an: Pflück dir einen Text! Das ist eine wunderbare künstlerische Intervention im Alltag!"

Cornelia Travnicek, Autorin

Literatur entwickelt ein Eigenleben.

Soeben hat Cornelia Travnicek ihr neues Buch "Chucks" vorgelegt. Nach vier Erzählbänden ist es ihr erster Roman, und dieser wird bereits als das "herausragende Debüt des Frühjahrs" gelobt. Längst betreibt Travnicek auch eigene künstlerische Interventionen im Alltag, so hat sie etwa ein Online-Lesekränzchen eingerichtet, in dem Literatur auf unakademische Weise vermittelt werden soll.

Sie selbst sei süchtig nach Buchstaben, erklärt die Autorin: und zwar egal, ob sie diese lese oder schreibe. Bereits als kleines Kind, lange vor dem Schuleintritt, drängte sie ihre Eltern, ihr das Alphabet beizubringen, und zwar "aus reiner Neugierde, wissen zu wollen, was da steht, beziehungsweise aus Unmut darüber, dass einem eine ganze Welt verschlossen ist: Comics konnte man zum Beispiel als Kind betrachten, aber man wusste nicht, was die Figuren miteinander sprechen! Und so wollte ich sehr früh lesen lernen, um das zu erfahren. Mittlerweile kann ich auch an Schildern unbewusst nicht vorbeigehen, auch wenn ich diese Schilder schon sehr oft gesehen habe - ich muss jedes Mal wieder lesen, was draufsteht, man kann sich gar nicht wehren, man muss alles lesen, was irgendwo steht."

Ideen mitten im Alltag

Ein Mädchen namens Mae erlebt, wie ihre Familie zerbricht: Der geliebte Bruder stirbt an Leukämie, die Eltern sind heillos überfordert und trennen sich. Zuflucht findet Mae nur in der völligen Abkehr von herkömmlichen Familienwelten im anarchischen Lebensstil einer Gruppe von Punks, die Mae bei sich aufnehmen und ihr ein Zuhause bieten.

Die Idee zu einer Geschichte taucht meist wie durch Zufall, ganz unvermutet, mitten im Alltag auf, erzählt Cornelia Travnicek. Sie kippe dann gleichsam aus der Realität und finde sich in einer anderen Wirklichkeit wieder:

"So etwas passiert durchaus, dass man sich gerade in einem unpassenden Rahmen bewegt und es fallen einem ein paar schöne Sätze ein und es entsteht rundherum ein ganzer Kosmos für einen Text. Wenn man zum Beispiel gemeinsam auf einer Zugfahrt ist und man versinkt ganz unversehens in irgendeiner Idee und merkt gar nicht, was die anderen Leute so sprechen, dann heißt es: Ja woran denkst du denn schon wieder? Man schaut aus dem Fenster, und aus irgendetwas, das man draußen sieht, oder etwas, über das man sowieso schon nachgedacht oder gehört hat, entsteht eine Idee. Und man folgt dieser Idee und ist abwesend für die anderen für einen Moment."

Das Recht, in Buchstaben gefasst zu werden

Eine Idee wird von Cornelia Travnicek zunächst einmal als Notiz festgehalten. Wird eine solche Notiz indes längere Zeit nicht beachtet, dann macht sie irgendwann von selbst wieder auf sich aufmerksam: Literatur entwickelt ein Eigenleben, sie pocht auf ihr Recht, in Buchstaben gefasst zu werden, ist die Autorin überzeugt:

"Ich habe immer ein Notizbuch mit, und es ist mir schon passiert, dass Notizen zum gleichen Text mehrmals in dem Notizbuch wiederkamen, weil ich keine Zeit hatte, den Text aufzuschreiben. Wenn ich dann das Notizbuch noch einmal durchblättere, dann sehe ich, dass die Notizen später noch einmal auftauchen. Da wartet etwas darauf, aufgeschrieben zu werden."

Die Lehre von der Leere

Cornelia Travnicek beschreibt nicht nur private Befindlichkeiten, sie denkt auch politisch. Ihr Denken - und das vieler ihrer Altersgenossen - sei jedoch globaler ausgerichtet, als das ihrer Eltern, und vor allem sei es nicht mehr an eine einzige Partei gebunden, betont die junge Dichterin.

Es sei ihr auch wichtig, über die Grenzen der eigenen Kultur hinaus zu blicken, meint Cornelia Travnicek. Aus diesem Grund, und weil sie die Märchen, die Philosophie, aber auch der Kampfsport Chinas faszinieren, studiert sie Sinologie. Im Unterschied zur asiatischen sei die europäische Kultur in erster Linie auf Egoismus ausgerichtet.

Neben Egoismus sei es ein unheilvoller Hang zum Überfluss, der in Westeuropa vorherrsche und dem Kontinent letztlich zum Schaden gereiche, konstatiert Cornelia Travnicek, die angehende Sinologin. Nahezu das Gegenteil des Strebens nach Fülle wird in der chinesischen Philosophie als Ideal angesehen: die absolute Leere.

Service

Cornelia Travnicek, "Chucks", Deutsche Verlagsanstalt

Cornelia Travnicek