Gemeinsame Vergangenheitsbewältigung

Monsieur Lazhar

Neben dem späteren Gewinner, der iranischen Produktion "Nader und Simin", war heuer auch ein Film aus Kanada für den Auslands-Oscar nominiert. Dieses Drama, "Monsieur Lazhar", zeigt einen politischen Flüchtling aus Algerien, der Arbeit als Lehrer findet und dabei auf eine traumatisierte Schulklasse trifft.

Kultur aktuell, 11.04.2012

Monsieur Lazhar ist ein Mann mittleren Alters, schlecht angezogen, mit einem spitzbübischen Kinnbart, aber traurigen Augen. Seine Frau war Schriftstellerin in Algerien, regimekritisch, nach ihrem letzten Buch wurde die Familie bedroht.

Monsieur Lazhar gelingt die Ausreise, seine Familie fällt jedoch einem Brandanschlag zum Opfer. Jetzt kämpft er in Kanada mit den Schatten der Vergangenheit und um eine Aufenthaltsbewilligung. Gespielt wird dieser Monsieur Lazhar vom algerischen Schauspieler Mohamed Fellag, und dass seine Darstellung so überzeugend gelingt, hat wohl mit dessen eigener Geschichte zu tun: Auf einer Theatertournee durch seine Heimat kam es nämlich zu einem Bombenanschlag und Fellag musste Algerien daraufhin den Rücken kehren. Während Fellag in Frankreich Karriere gemacht hat, nimmt sein Monsieur Lazhar im Film eine Arbeit als Lehrer an. Die Klasse, die er zugeteilt bekommt, hat vor kurzem ihre Lehrerin durch Selbstmord verloren.

In keine Klischeefallen gestolpert

Der kanadische Regisseur Philippe Falardeau hat seine Geschichte einer gemeinsamen Vergangenheitsbewältigung im tief verschneiten Montreal angesiedelt. Die ungewöhnliche Vorlage für seinen Film hat er durch Zufall bei einem Theaterbesuch gefunden: "Es war der Bühnenmonolog eines Mannes, eben dieses Immigranten aus Algerien. Mich hat diese Figur sehr berührt und so begann ich schon während des Stücks, im Kopf den Film zu entwickeln. Weil es aber ein Einpersonenstück war, musste ich mir alle anderen Figuren vorstellen. Mein Produzent war gemeinsam mit mir im Theater. Nach dem Ende der Vorstellung habe ich zu ihm gesagt: 'Das müssen wir machen!' Er hat mich groß angesehen und gefragt: 'Was?' Er konnte sich einfach nicht vorstellen, wie aus diesem Monolog ein Film werden sollte."

Philippe Falardeau hat nicht nur zusätzliche Figuren dazu erfunden, er setzt sie auch gleichwertig neben seinen Monsieur Lazhar. Und so erzählt er seine Geschichte abwechselnd aus den Augen des Flüchtlings und aus den Augen der Kinder. "Für mich geht es im Kino immer um die richtige Perspektive", sagt Philippe Falardeau. "Wenn man mit Bildern arbeitet, ist es immer verführerisch, sich für das dramatischste oder das schönste Bild zu entscheiden. Es geht aber um das Bild, das am genauesten den Blickwinkel der jeweiligen Figur wiedergibt."

Diese Genauigkeit ist es auch, mit der Philippe Falardeau jede Klischeefalle gekonnt umschifft. Sein "Monsieur Lazhar" ist weder das bemitleidenswerte Opfer noch der leidenschaftliche Ausnahmepädagoge, wie dereinst Robin Williams im "Club der toten Dichter". Und so treffen in "Monsieur Lazhar" statt Figuren Menschen aufeinander, so dass man an vielen Stellen den Eindruck hat, eine Dokumentation und nicht einen Spielfilm zu sehen.

Service

Monsieur Lazhar