So egoistisch sind sie nicht!

Generation Ich

"Unsere Jugend ist heruntergekommen und zuchtlos. Die jungen Leute hören nicht mehr auf ihre Eltern. Das Ende der Welt ist nahe." Diese Worte ritzte ein Bewohner des sumerischen Ur vor rund 4000 Jahren in Keilschrift in den noch weichen Ton. Es muss wohl in der Natur des Menschen liegen, der nachfolgenden Generation nichts, gar nichts, zuzutrauen.

Bis zur 68er-Generation gingen die Beschwerden der Älteren über Jahrtausende in eine Richtung: Sie war zu rebellisch, die Jugend. Später jammerten eben jene 68er über eine Generation, die ihnen zu wenig aufmüpfig war. Zu egoistisch, zu sehr fixiert aufs Geldverdienen. Eben anders.

Heute werden ganze Bücher geschrieben - darüber, wie die Jugendlichen ticken. Am besten verkaufen sich Titel wie "Generation Praktikum" oder "Generation Doof", denn so haben wir sie gern, die Jungen - eine ganze Alterskohorte und ihre lebensprägenden Trends kompakt verpackt auf ein paar Buchseiten.

Generation X, Y,...

Begonnen hat alles mit "Generation X", jenem 1991 erschienenen Schlüsselroman des Kanadiers Douglas Coupland über eine Jugend ohne Perspektiven, die unter der auf Pump finanzierten Wohlstandsgesellschaft ihrer Vorgänger leidet. Aus der "Generation X" wurde die "Generation Y", "die Generation des schnellen Aufstiegs" und "wählerisch wie eine Diva beim Dorftanztee", schrieb der "Spiegel" im Jahr 2011 über die in den 1980er Jahren geborenen Ypsiloner. Selbstbewusst haben sie gerade den Arbeitsmarkt erreicht, da scharrt schon Generation Z in den Startlöchern; geboren seit den 1990er Jahre haben sie oft noch gar keinen Führerschein, aber schon einen griffigen Namen: die "Ich-Generation".

So schrieb Christian Scholz, Professor für Betriebswirtschaftslehre an der Universität des Saarlandes kürzlich in einem Gastkommentar für den "Standard".

Egoismus pur?

Die Ich-Generation. Angeblich pflegt sie Freundschaften nur mehr am Computer, ist halbgebildet, weil Google ja immer zur Hand ist, und hat - dank der vielen Stunden, die sie mit Videospielen und Game-Konsolen verbracht hat - nur eine beschränkte Aufmerksamkeitsspanne.

Politisch ist sie völlig desinteressiert, schließlich lässt die Beschäftigung mit dem eigenen Ich keine Zeit für andere. Gemeinsamkeit gibt es nur beim Chillen, Koma-Saufen und Konsumieren. In jedem Fall gibt es nur ein oberstes Ziel, nämlich: die anderen auszustechen. Willkommen in der Casting-Gesellschaft.

Das schreibt Lara Fritzsche in ihrem Buch "Das Leben ist kein Ponyhof. Die unbekannte Welt der Abiturienten".

An die heutige Welt angepasst

Die heutige Jugend - ein Haufen egoistischer Monster? Hätte ich nicht selbst zwei Vertreter dieser Generation zu Hause, ich würde mich ganz schön fürchten! So aber sehe ich eine Generation, die gar keine andere Chance hatte, als sich an eine Welt anzupassen, die wir ihr so hingestellt haben. Die lernen muss, sich zu verkaufen, ob es ihr gefällt oder nicht - denn 30 Jahre Festanstellung und Pension mit 58 waren gestern. Eine Generation, die sich kaum zurücklehnen wird können.

"Unter Beobachtung zu stehen, ist ein Dauergefühl dieser Generation", schreibt Lara Fritzsche - kein Schulbesuch ohne Aufnahmegespräch, kein Ferialjob ohne Probearbeitstag. Und kaum hat man sich an das eine Technik-Gimmick gewöhnt, ist schon ein neues auf dem Markt.

Ich sehe auch eine Generation, die schultern muss, was wir ihr aufbürden: unsere Pensionen ebenso wie kollabierende Wirtschaftssysteme oder drohende Klimakatastrophen. Es kann immer auch abwärts gehen - ein Lebensgefühl, das diese Generation besonders gut zu kennen scheint. Gerade Menschen zwischen 16 und 29 haben laut einer aktuellen Studie aus Deutschland die größten Zukunftsängste.

Jugendliche sind Jugendliche

Was ich nicht sehe, sind unpolitische Einzelkämpfer. Vom Polittheater der etablierten Parteien haben sich viele von den Jungen verabschiedet, das stimmt. Aber nur, um woanders Politik zu machen. Im Netz zum Beispiel. Der Aufstieg der Piratenpartei ist nur ein Hinweis darauf.

Keine Spur also von der "Generation Ich"?

Glaubt man der amerikanischen Studie "Monitoring the future", dann unterscheiden sich die heutigen Jugendlichen kaum von denen, die wir einmal waren. 33 Jahre lang befragten Forscher aus Michigan insgesamt eine halbe Million junger Menschen. Wie es aussieht, hatte unsere Generation die exakt gleichen Ziele, die gleichen Hoffnungen. Wir waren weder politischer noch weniger egoistisch. Wir waren einfach jung, haben unseren Weg gesucht. Und hätte es damals schon dieses Etikett gegeben, wären wir auch damit herumgelaufen - die "Generation Ich".