Gedenken an Euthanasie-Opfer

Warnung vor "Politik für die Tüchtigen"

Am 5. Mai 1945 ist das Konzentrationslager Mauthausen befreit worden. Aus diesem Anlass wird im Parlament der Gedenktag gegen Rassismus und Gewalt begangen. Die Veranstaltung ist heuer den Opfern der NS-Euthanasie gewidmet. In Reden wird davor gewarnt, Menschen als Kostenfaktor zu betrachten.

Mittagsjournal, 4.5.2012

Behinderte noch immer benachteiligt

Im Vernichtungsprogramm der Nationalsozialisten sind hunderttausende Kinder, Kranke und Behinderte als von den Nazis sogenanntes "unwertes Leben" systematisch getötet worden. Zu Beginn der Gedenkveranstaltung im Parlament erinnert Nationalratspräsidentin Barbara Prammer (SPÖ) daran, dass die Gleichstellung von Behinderten auch heute noch keine Selbstverständlichkeit ist.

"Integration allein ist zu wenig"

Nach wie vor seien Behinderte nich gleichgestellt, zeigt Prammer auf: Sie hätten nach wie vor weniger Zugang zu Bildung, lebten öfter in belasteten Wohnverhältnissen, seien wiederholt arbeitslos und verfügten über ein geringeres Einkommen. Die Armutsgefährdungsquote von Menschen mit Behinderung sei fast doppelt so hoch wie jene von nicht behinderten, so Prammer: "Wir müssen Menschen mit Behinderungen inkludieren und zu einem selbstverständlich geachteten und rspektierten teil unserer Gesellschaft machen. Integration alleine ist zu wenig."

"Wertlos", "Kostenfaktor"

Die wissenschaftliche Leiterin des Dokumentationsarchives des Österreichischen Widerstands, Brigitte Beiler, schildert dann erschütternde Fakten zum Euthanasieprogramm. Allein in der Wiener Anstalt Steinhof sind 800 Kinder systematisch ermordet worden, mehr als die Hälfte von ihnen waren nicht einmal sechs Jahre alt. Sozial auffällige Menschen und Menschen mit Behinderung seien damals als "wertlos" für die Volksgemeinschaft undn als "hemmender Kostenfakter" registiert, in Lager gesperrt, an ihrer Fortpflanzung gehindert, aktiv ermordet oder dem Hungertod ausgeliefert.

Warnung vor "Politik für die Tüchtigen"

Und Brigitte Bailer schließt mit einer Warnung für die Gegenwart: "Die Ideen von Kosten-Nutzen-Rechnungen für die Behandlung kranker Menschen und die Diskriminierung Behinderter begegnen uns auch heute immer wieder. Und wir alle sollten wachsam sein, wenn jemand Politik nur für die Fleißigen und Tüchtigen machen möchte."

Aufruf zur Wachsamkeit

Brigitte Kepplinger ist die stellvertretende Obfrau des Vereins Schloss Hartheim bei Linz. Im Rahmen des NS-Euthanasieprogramms wurden dort nahezu 30.000 behinderte und kranke Menschen, aber arbeitsunfähige KZ-Häftlinge und Zwangsarbeiter vergast. Auch Kepplinger erinnert daran, dass die Ideen des Nationalsozialismus mit dem Zusammenbruch nicht verschwunden sind. Es liege nun an uns, die Beschädigung der Demokratie zu verhindern und "moralische Grenzverschiebungen" zu beobachten und nötigenfalls zurückzuweisen.

Berührende Zitate

Zwischen den Reden liest der Schauspieler Tobias Moretti aus historischen Dokumenten. Unter anderem aus einem Brief von Josef Pöhlen, der 1945 in Steinhof untergebracht war: "Liebe Eltern! Die besten Grüße aus Wien sendet Dir Dein Sohn Josef. Hier ist es sehr schlecht, wir kriegen nur eine Schnitte Brot und ein bisschen Kaffee. Wir wären in einer Gefangenschaft. Wir liegen ganzen Tag im Bett. Komme mich bitte in zwei Tagen besuchen, will ich gerne noch nach Hause für ganz."

Wenige Monate später starb Josef Pöhlen im Alter von 18 Jahren in Steinhof an den Folgen von Unterernährung und Infektionskrankheiten.