Anders als gewohnt

Die "Café Sonntag"-Glosse von Severin Groebner

Gewohnheit ist ein sehr gemütliches Wort. Ein Wort wie eine Wohnung, in der man zu Hause ist, daheim, man fühlt sich heimelig und kennt sich aus. Das ist angenehm.

Groebner liest Groebner

Gut, in der Gewohnheit ist es ein bisserl stickig, es miachtelt vielleicht sogar richtiggehend, die Tapeten rollen sich bereits von den Wänden, der Müll und die Pizzakartons stapeln sich, die Katze hat ins Waschbecken geschissen, aber egal: Das ist gewohnt und gibt Sicherheit.

Ja, die Gewohnheit, sie ist vielleicht fad, aber übersichtlich. Und man bewohnt diese Gewohnheit auch gewöhnlich solange, wie es nur irgendwie geht. Bis eine Gewöhnung eintritt und dann will man... RAUS!

Plötzlich soll alles anders werden.

Dann will man noch mal mit achtzig übers Wildwasser raften, mit sechzehn Schachweltmeister werden, mit Ende vierzig in die Disco. Leider heißt die jetzt aber "Club" und ist überhaupt anders als früher. Die Musik zum Beispiel. Die ist viel lauter.

Aber egal, es muss etwas Anderes her. Abenteuer! Und so beginnen dann persische Köche Schweinebraten herzustellen, brave Familienväter kaufen sich ein Motorrad und drehen selbstgestrickte Pornos mit den Barbie-Puppen ihrer Kinder im Hobbykeller, und Frauen in den besten Jahren besuchen einen Kick-Box-Kurs und legen sich taiwanesische Liebhaber zu, die ihnen gerade mal bis zur Hüfte reichen.

"Anders!" heißt die Devise. In solchen Situationen lässt sogar so mancher Sozialdemokrat das brav auswendig gelernte Glaubensbekenntnis des freien Marktes und der immer währenden Flexibilität fallen und interessiert sich plötzlich für die Arbeitnehmer. Ganz Verrückte fordern sogar eine "Finanztransaktionssteuer". (Im Übrigen das umständlichste Synonym für Umsatzsteuer, das ich kenne. Dafür ist sie auch bei weitem nicht so hoch.)
Ja, sind wir realistisch, irgendwann will jeder mal raus aus dem gewohnten, alten Trott und so werden wir vielleicht noch erleben, dass die Grünen wiedermal Politik machen, die Piraten plötzlich verstehen, dass Urheberrecht keine Mehlspeis zum Umhängen ist, und eines fernen, fernen Tages könnte auch die FPÖ einsehen, das Menschenrechte für alle da sind - und nicht nur für rechte Menschen.

Ja, das wird eine verrückte und aus den Fugen geratene Welt werden, wo wir uns dann plötzlich wieder nach gewöhnlicher Stabilität sehnen werden.

Aber auch dann wird es, wie immer, eine Gruppe von Menschen geben, die sind, wie sie waren und immer sein werden. Nein, ich spreche jetzt nicht von der Bestattung Wien.
Aber fast.
Hat denn nicht in diesen wilden Zeiten voller Veränderungen und Anders-Artigkeiten, mitten im Sturm der Krise gerade unser aller Vizekanzler eine Rede gehalten. Eine große Rede. Eine Grundsatzrede, eine Rede, die Schwung geben wird. Und ja, ich hab sie mir angehört und angeschaut und dazu alle seine Parteifreunde und ich war zutiefst beruhigt. Denn mir war sofort klar, egal was der Strom der Zeit auch heran spülen wird... dies hier ist ein Fels! Bei der ÖVP, da wird sich nie was ändern. Da bleibt alles wie es war - ganz gewöhnlich. So sind wir das gewohnt.

Und nicht anders.